Leo Trotzki

Revolutionsaussichten in Deutschland

(20. Oktober 1923)


Bericht an den Gewerkschaftskongress der Transportarbeiter.
Auf französisch erschienen in Cahiers Leon Trotsky, Heft 55, 1995.
Kopiert von der Webseite des Arbeitskreises „Marxistische Theorie und Politik“. [1]
HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


Genossen!

[...] Zunächst und vor allem gibt es die deutsche Revolution: [...] alle Fragen treten jetzt gegenüber dem Einfluss der Ereignisse von kolossaler Bedeutung in den Hintergrund, die ihr Zentrum in Deutschland haben. [...] Das Verhalten von Amerika wie das von Europa hängen zunächst und vor allem unmittelbar und direkt von der Richtung ab, die die Ereignisse sich in Deutschland entwickeln werden, wie sie sich wenden werden und wo sie enden werden. Während mehrerer Monate haben wir gewisse Vorschläge diskutiert, wie sich der Rhythmus der deutschen Ereignisse entwickeln wird. Aber heute, Genossen, geht es nicht mehr nur ums Reden. Die Ereignisse entwickeln sich in Deutschland und sind miteinander durch ein System von Fäden verbunden. Und wenn wir uns jetzt Deutschland anschauen, sogar durch die Linsen der Telegramme der [sowjetischen Nachrichtenagentur] Rosta, der deutschen Presse und unserer Presse – das heißt, wenn wir sie von ferne betrachten – sehen wir klar und ausgeprägt einen genauen Mechanismus der revolutionären Ereignisse, die sich gerade entwickeln. Deutschland ist schon in eine Periode der unmittelbaren und direkten Revolution eingetreten, das heißt des Kampfes um die Staatsmacht zwischen den Grundklassen der Gesellschaft. Natürlich werde ich euch nicht im Detail die Bedingungen vorstellen, die die Revolution möglich machen und die ihren Erfolg garantieren. Ich werde nur die großen Linien skizzieren. Damit die proletarische Revolution möglich ist, braucht man vor allem ein gewisses Entwicklungsniveau der Produktivkräfte, zweitens muss das Proletariat eine gewisse zahlenmäßige Bedeutung haben und eine gewisse Rolle in der Produktion spielen; und drittens braucht man das, was man die subjektive Bedingung nennt, das heißt, das Proletariat muss die Macht übernehmen wollen und wissen, wie man das macht. Deutschland ist seit sehr vielen Jahren für die proletarische Revolution reif. Die industrielle Technik in Deutschland ist fortgeschrittener und konzentrierter als jede andere auf der Welt und kann sogar den Vergleich mit Amerika aushalten. Das deutsch Industrieproletariat, das 15 Millionen von einer Bevölkerung von 60 Millionen (einschließlich Kinder und alter Menschen) zählt, stellt die ungeheure Mehrheit der Bewohner des Landes dar. Man muss die drei Millionen Landarbeiter hinzufügen. Ich wiederhole, wir haben hier ein Land, in dem das Proletariat die erdrückende Mehrheit der Bevölkerung darstellt. Aber was die subjektiven Bedingungen der Revolution betrifft – die Notwendigkeit, dass das Proletariat die Macht übernehmen will und weiß, wie man das macht – diese Bedingungen fehlten. Sie fehlten vor dem imperialistischen Krieg, das ist der Grund, warum es diesen Krieg gegeben hat. Sie fehlten im November 1918, als nach der Niederlage der deutschen Armee die Macht in die Hände der Sozialdemokraten gegangen ist. In dieser Epoche rückte die Arbeiterklasse auch spontan in Richtung Macht vor, aber in den vorangegangen Jahren hatte sie aus ihren eigenen Reihen einen Partei-Überbau geschaffen, die sozialdemokratische Partei, die die Elite der Arbeiterklasse aufsaugte; und dieser Überbau wurde in seiner Entwicklung zum Gefangenen der herrschenden Klassen und verwandelte sich in einen Apparat für die Beherrschung und Eindämmung der Arbeiterklasse. Und wir hatten in Deutschland die Lage, dass das Proletariat durch die Vermittlung der Sozialdemokraten an der Macht war, aber die Sozialdemokratien, nachdem sie an die Macht gekommen waren, sich nicht als revolutionäre Vertreter des Proletariats sondern als politische Agentur der Bourgeoisie verstanden. Das war der Sinn der Revolution des 9. November 1918. Entsprechend ihrem ganzen Charakter und ihrem Geist hat die deutsche Sozialdemokratie die Macht Schritt für Schritt an die Bourgeoisie übergeben.

Und nur weil die innere Lage in ihren wirtschaftlichen und finanziellen Aspekten immer verzweifelter wurde hat die Bourgeoisie erneut die Sozialdemokraten an die Macht geholt und erneut ein Bündnis mit ihr gebildet.

Das ist die Geschichte der letzten Monate, wo eine Koalition zwischen der Bourgeoisie und den Sozialdemokraten formell an der Macht in Deutschland war. Die Kommunistische Partei Deutschlands wurde erst nach der Niederlage im Krieg gegründet, hervorgegangen aus Gruppen im Untergrund. Im Unterschied zu unserer Partei mit ihrer revolutionären Tradition von einem Vierteljahrhundert und ihrer in der Untergrundarbeit erworbenen Härte, ist die Kommunistische Partei Deutschlands, das heißt die wirkliche revolutionäre Partei des Proletariats ein Geschöpf der letzten Jahre. Die deutsche Arbeiterklasse wurde im November 1918 getäuscht. Es ist natürlich, das sie eine abwartende Haltung gegenüber der Kommunistischen Partei Deutschlands hat: sie lässt sie ihr Gesicht zeigen, sich in der Aktion beweisen und das Vertrauen der Arbeiter erringen. Mit der revolutionären Ungeduld einer jungen Partei hat die Kommunistische Partei versucht, die Macht ohne Vorbereitung zu übernehmen. Das war im März 1921. Das war ein grausamer Irrtum. Der Dritte Kongress der Kommunistischen Internationale im Juli 1921 hat der deutschen Partei eine ebenso harte wie heilsame Lektion erteilt. Er hat den deutschen Genossen gesagt: „Eure Aufgabe besteht nicht im direkten Kampf um die Macht, sondern im Kampf, das Vertrauen der Arbeiterklasse zu erobern.“ Manchen deutschen Genossen wie manchen russischen Genossen schien diese Lehre des III. Kongresses opportunistisch, mäßigend und überhaupt nicht revolutionär, aber heute gibt es in Deutschland keinen einzigen Kommunisten, der nicht erkannt hat, dass diese Lektion heilsam war. Seitdem – 1921, 1922 und 1923 – hat die deutsche Kommunistische Partei die bolschewistische Taktik voll gemeistert, das heißt die Verbindung der echten revolutionären Entschlossenheit mit dem Realismus beim soliden Berechnen des Stands der Beziehungen und Perspektiven. Unter der Parole der Arbeitereinheitsfront und dann der Arbeiter- und Bauernregierung ist die deutsche Partei dabei, Schritt für Schritt das Vertrauen von immer wichtigeren Teilen der Arbeiterklasse zu gewinnen. Und nach der Ruhrbesetzung durch Frankreich, im Verlauf des letzten Jahres, als die deutsche Wirtschaft, die des Stahls und der Kohle beraubt ist, endgültig in eine Sackgasse getrieben ist, als der verzweifelte Charakter der Lage immer offensichtlicher geworden ist, als die verzweifelnd kämpfenden bürgerlichen Parteien alle Ressourcen verloren haben – in dieser Periode erschien die Kommunistische Partei der Arbeiterklasse immer mehr als die einzige Leitung, die einzige mögliche Rettung, nicht nur für das Proletariat, sondern für das ganze deutsche Volk.

Seit diesem Augenblick und besonders seit Juli diesen Jahres ist es klar geworden, dass die deutsche Revolution an die Tore der Geschichte klopft. Und jetzt stellt sich die Frage: Wann kommt der entscheidende Augenblick? Nachdem die deutsche Kommunistische Partei das Vertrauen der Mehrheit der Arbeiterklasse gewonnen hat, wird sie sich fähig erweisen, wird sie die Härte, die Macht, den Willen, die Entschlossenheit besitzen, um einen bewaffneten Aufstand zu machen und im Kampf die Macht zu übernehmen? Diese Periode war gekennzeichnet durch Diskussionen und Debatten darüber, was eine Revolution ist – was eine bewaffnete Erhebung darstellt. Während einer gewissen Zeit hat die deutsche Kommunistische Partei ungeduldig die Revolution als etwas Objektives und Wichtiges betrachtet, das kommen wird. Die bewusstesten Elemente in ihren Reihen und in der Komintern selbst stellten die Frage so: Die Revolution ist schon angekommen, sie ist schon um uns, aber gerade damit sie nicht an uns vorbei gehe oder über unsere Köpfe springe müssen wir als Partei uns die unmittelbare Aufgabe stellen, den Feind in einem offenen revolutionieren Kampf zu zermalmen. Um den Feind zu zermalmen muss man ihm eine organisierte Kraft entgegenstellen. Man muss einen Kampfplan haben und schließlich muss man gewisse Etappen des Kampfes hinter sich haben, man muss von der Ebene der Agitation, der Propaganda und der Voraussage der Ereignisse zu militärischen – revolutionären – Schlägen übergehen, einen bewaffneten Aufstand machen und die Macht nehmen. Der Übergang von der Agitation und Propaganda zum direkten und unmittelbaren Kampf um die Macht ist immer ein sehr schmerzhafter Prozess für jede revolutionäre Partei. Es ist eine Sache, um Einfluss auf die Massen zu kämpfen, auf die eine oder andere Million. Es ist eine ganz andere Sache, nachdem man sich an die Spitze dieser Millionen gestellt hat, die unmittelbare Aufgabe zu übernehmen, unter den gegebenen Umständen gegen den gegebenen Feind einen Aufstand zu machen, die Macht zu übernehmen. Dafür muss die Vorhut der Arbeiterklasse einen schrecklichen Sprung in der Politik und der Psychologie machen, um vom Bereich der rein propagandistischen Arbeit auf die Leitung der Klasse bei der Verwirklichung einer großen gesellschaftlichen Umwälzung überzugehen.

Ihr wisst, Genossen, dass in unserem Land diese Wendung nicht leicht oder einfach vollbracht wurde, obwohl unsere Partei eine unendlich größere Härte und eine viel revolutionärere Erfahrung als die deutsche Partei hatte. Es ist zu befürchten, dass in Deutschland die inneren Schwankungen der kommunistischen Partei viel grundlegender, viel wichtiger und daher viel gefährlicher sind als die, die es bei uns am Vorabend des 25. Oktober 1917 gab. Aber die deutsche Partei hat etwas, was wir nicht hatten: sie hat erstens die Erfahrung und zweitens die ideologische Hilfe der Kommunistischen Internationale. Dank dieses Umstandes wird sie diese inneren Schwierigkeiten ohne jeden Zweifel viel leichter regeln (so wie man sieht, dass sie sie schon grundlegend geregelt hat) als wir dazu vor sechs Jahren in der Lage waren. Soweit ich das von ferne beurteilen kann und in dem Maß, in dem man sich ein klares Bild von dem machen kann, was eingetroffen ist, hat die Kommunistische Partei schon die notwendige Entschlossenheit erlangt, um die Aufgabe der Partei des Proletariats in Angriff zu nehmen – die Macht zu erobern.

Sind die objektiven Bedingungen für den unmittelbaren Kampf günstig oder nicht? Was sind die Perspektiven, die Aussichten? Auch vor den entscheidenden Schlachten ist es natürlich nicht immer möglich, Genossen, die Kräfte genau abzuschätzen und noch weniger eine genaue Schlussfolgerung zu ziehen. Wenn das bei gesellschaftlichen Schlachten möglich wäre, würden diese Schlachten gar nicht stattfinden. Ich habe oft die Gelegenheit gehabt, auf die einfache Überlegung hinzuweisen, dass es selbst bei einem Streik einer Gruppe Arbeiter gegen einen Kapitalisten unmöglich ist, im Voraus genau zu wissen, wie dieser Streik enden wird. Jeder Kampf entwickelt seine inneren Kräfte: sie haben ihren Einfluss auf den Verlauf, sie erzeugen Sympathie oder das Fehlen von Sympathie unter den anderen Arbeitern, Sympathie eines Kapitalisten für den anderen etc. Wenn es dazu in einem Streik kommt, wie viel mehr muss es dann in einer Revolution des Proletariats so sein, in der ungeheure, zahlreiche unberechenbare Kräfte beteiligt sind – in der es um ein Land mit 60 Millionen Menschen geht? In diesem Fall, Genossen, ist es unmöglich, im Voraus zu sagen, dass da der Sieg absolut garantiert ist.

Genau aus diesem Grund wird die Revolution, der Kampf unvermeidlich, weil man nur durch die Revolution, die bewaffnete Erhebung den Sieg erringen kann und weil es unmöglich ist, die Frage präzise vorherzusagen. Aber gleichzeitig kann und muss man sowohl in militärischen wie revolutionären Konflikten das Kräfteverhältnis, die wirklichen Ressourcen und folglich die reellen Möglichkeiten einschätzen.

Was die Truppenstärken betrifft, die des Feindes, der beiden einer entgegengesetzten Lager, gibt es auf unserer Seite eine endrückende Überlegenheit. Ich habe schon davon gesprochen – ein Industrieproletariat, das 15 Millionen stark ist, sehr kultiviert und durch den Charakter der deutschen Industrie sehr zentralisiert ist, stellt eine Kraft dar, wie sie in diesem Ausmaß nie auf die revolutionäre Bühne getreten ist.

Was gibt es auf der anderen Seite? Es gibt ein vertrustetes Kapital, das zentralisiert ist, und den Großgrundbesitz und die faschistischen Banden, die auf ihre Kosten unterhalten werden, Banden, die nicht nur theoretisch, sondern ganz direkt von Stinnes abhängen. Der Faschismus ist die Kampforganisation des Handels-, und Industriekapitals, des Finanzkapitals auf großer Stufenleiter, des Bankkapitals in Deutschland, das sich wiederum in Stinnes verkörpert. Er ist im genauen Sinn des Wortes der Boss, der Diktator von Deutschland. Man hat von der Konzentration der Industrie seit Marx gesprochen, sie in Handbüchern dargestellt: wir haben von ihrer Tendenz zur Verringerung der Zahl der Kapitalmagnaten auf eine geringe Zahl gesprochen etc.; und man hat jetzt in Deutschland eine Lage, wo der Boss, der wirtschaftliche Boss des Landes, wesentlich ein einziger Mann ist – Stinnes.

In Deutschland gibt es eine illegale Armee, eine faschistische Armee, über die uns verschiedene Informationsquellen sagen, dass ihre Truppenstärke zwischen 200.000 und 400.000 Kämpfern beträgt und diese Armee ist von Stinnes finanziert. Die deutsche Presse ist in seinen Händen etc. Das ist die konzentrierte grundlegende Kraft des Kapitals, die sich ihre eigene Armee geschaffen hat, genau wie sich in unserem Land in der Epoche des Zarismus nach 1905 die Grundherren Einheiten bildeten, die sich aus den Inguschen oder Tscherkessen rekrutierten, den unwissenden Elementen des Kaukasus. Der Faschismus ist die Inguschen-Organisation von Stinnes für die Verteidigung seines Privateigentums, der Börse, des Kapitals etc.

Was gibt es dazwischen? Zwischen dem revolutionären Proletariat und den Faschisten gibt es die klein- und mittelbürgerlichen Schichten, die ruiniert und halbruiniert sind, die Intelligenz, die ruiniert ist oder sich gerade ruiniert und auch verhältnismäßig beträchtliche Elemente der Arbeiterklasse, auch wenn sie nicht mehr als eine kleine Minderheit darstellen. An der Spitze des Staates ist die Sozialdemokratie mit ihrer Organisation und ihrer Presse noch eine große Macht, aber sie stellt schon die Macht von gestern dar: ihre Basis, die Masse der Arbeiterklasse entgleitet Tag für Tag und Stunde um Stunde ihren Händen. Die letzten Telegramme, die letzten Depeschen aus Deutschland geben ein sehr klares Bild von genau diesem Prozess.

Ich werde etwas davon sprechen, wenn ich bei der Frage Sachsen angekommen bin. Der zentrale demokratische Kern ist der deutsche Kerenskiismus: auf seiner Rechten der Faschismus, auf seiner Linken der Kommunismus. Dieser zentrale Kern verengt sich immer mehr, weil die Arbeiter und nicht nur die Arbeiter, sondern auch große Schichten des Bürgertums und auch der Intelligenz und der Bauernschaft (um gar nicht erst von dem Landproletariat zu reden) sich immer mehr nach links bewegen. Elemente des zentralen demokratischen Blocks brechen nach rechts und wenden sich Richtung Faschismus, in dem sie das Heil sehen, und man beobachtet ein Wachsen der Extreme mit einer Verstärkung der Widersprüche und Schwäche in der Mitte. Deshalb ist die Reichsregierung in Deutschland heute eine klägliche Fiktion. Das deutsche Parlament, der Reichstag, hat seine Machtbefugnisse zu Gunsten der Minister aufgegeben, die er gewählt hat. Wenn wir Kommunisten eine Demonstration, einen ergänzenden Beweis für den völligen Zerfall des Demokratismus, des bürgerlichen Parlamentarismus gebraucht hätten, das wäre er gewesen: das deutsche Parlament, ein auf der Grundlage des allgemeinen etc. Wahlrechts gewähltes demokratisches Organ. Wenn die größte Anstrengung von ihm verlangt wird, begeht es Selbstmord und gibt seine ganze außerordentliche Macht an die Minister, die es selbst geschaffen hat – und diese Minister wiederum geben ihre vollen Machtbefugnisse an Seeckt; Seeckt ernennt seine allmächtigen Generäle, besonders Müller in Sachsen. In unserem Land ist Koltschak aus der Verfassunggebenden Versammlung von Ufa hervorgegangen; in Deutschland sind aus dem demokratisch gewählten Reichstag schrittweise der General Seeckt und aus Seeckt andere in Gestalt der Generäle Müller und anderer hervorgegangen. Das Parlament hat sich vor unseren Augen entmachtet und mit seiner Auslöschung ist die des deutschen Kerenskiismus, des deutschen Demokratismus gekommen.

Weiter, Genossen, sieht man, wie Deutschland wegen der in der jeweiligen Region vorherrschenden gesellschaftlichen Kräfte geographisch zerfällt. Heute gibt es kein vereinigtes Deutschland. Ich meine dabei nicht einmal, dass ungefähr 12 Millionen Bewohner Deutschlands unter feindlicher Herrschaft, feindlicher Besatzung (besonders französisch) sind. Aber die 48 oder 50 Millionen, die bleiben, bilden keine soziale Einheit und keinen Einheitsstaat mehr. Es gibt Bayern mit ungefähr 9 Millionen, das jetzt ein unabhängiger Staat ist. Daneben, im Norden, gibt es das kleine Thüringen und im Nordosten Sachsen. Thüringen und Sachsen haben zusammen eine Bevölkerung von 7,5 bis 8 Millionen, wenn meine Erinnerung gut ist, das heißt etwas weniger als in Bayern. In Bayern ist der Faschist Kahr an der Macht, der das Verbindungsglied zwischen den Faschisten (der Partei von Fürst Ruprecht) ist, die mit Deutschland brechen und es verlassen wollen, und denen, die ein einheitliches Deutschland wollen (die Partei von Seeckt, Ludendorff etc.). Aber was die deutschen Separatisten, das heißt die, die sich lostrennen wollen, und die deutschen Faschisten, die die Einheit Deutschlands wiederherstellen wollen, vor allem wollen, ist de Verteidigung des Privateigentums. Es gibt so eine Brücke zwischen ihnen und auf dieser Brücke hält sich der bayrische Diktator von Kahr. Aus diesem Blickwinkel haben Genossen auf unserer Versammlung in Moskau mir eine schriftliche Frage überreicht, ob unsere Genossen dort sich nicht opportunistisch verhalten hätten: diese Kommunisten, die nach mehreren Jahren schonungslosem Kampf gegen die menschewistische Organisation, gegen die Sozialdemokraten, sich ihnen jetzt in der selben Regierung angeschlossen haben.

Unbestreitbar ist das eine zunächst überraschende Initiative. Dennoch ist sie richtig und Zeugnis für den kolossalen politischen Erfolg, den diese Koalition für uns darstellt. Ich werde darüber sprechen, aber ich möchte euch zuerst daran erinnern, dass wir selbst in dieser Hinsicht nicht unschuldig sind. Im Augenblick des Putsches von Kornilow hat der Genosse Lenin im damaligen Zentralorgan geschrieben, dass die Bolschewiki einen Kompromiss vorschlagen, das hieß: meine Herren Menschewiki und Sozialrevolutionäre, unter gewissen Bedingungen bilden wir einen Block mit euch. Weder die Menschewiki noch die Sozialrevolutionäre haben das gemacht: es blieb ihnen vor ihrem Tod zu wenig Zeit und sie wollten den Augenblick nicht näher bringen. Aber der Vorschlag wurde gemacht. Und nach dem Oktober, gleich danach, haben wir eine Koalitionsregierung mit den linken Sozialrevolutionären gebildet. Das haben viele schon wieder vergessen.

Der Block mit den Sozialrevolutionären endete dennoch tragisch. Zu einem Zeitpunkt hat sich ein Teil des Rats der Volkskommissare, einer der Kommissare von den linken Sozialrevolutionären, in einem Gebäude wiedergefunden, das der Tscheka gehörte, und schimpfte auf den Kreml. Ich habe dieses Schimpfen mit eigenen Augen gesehen. Dieses Ende der Koalition war offensichtlich nicht im Gründungsprogramm der Koalition enthalten; aber wenn man die Bilanz zieht, stellt sich heraus, dass wir gewonnen haben und das Platzen der Koalition stellte gleichzeitig das Ende der Partei der Linken Sozialrevolutionäre dar. Unsere Partei hat die Lage gemeistert.

Deshalb ist unter gewissen Bedingungen (ich zitiere den Fall, um den Sachverhalt zu klären) selbst der Beitritt der Kommunist in eine Koalition mit einer wesentlich kleinbürgerlichen Partei, die noch die Unterstützung eines Teils der Arbeiter und Bauern hat, eine Initiative, die, so opportunistisch sie erscheinen mag, ihrem Wesen nach revolutionär ist. Das ist eine entschiedene Aktion, um die Entwicklung zu beschleunigen, den Ruin der Partei zu erreichen, mit der wir eine Koalition gebildet haben. Was man in Sachsen sehen kann ist das selbe Phänomen, wenn auch unter völlig anderen Bedingungen. Sachsen ist ein Land, das vom textilindustriellen Proletariat bewohnt wird, ein sehr kompakter Teil von Deutschland mit dichter Bevölkerung. Das sächsische Proletariat ist sehr revolutionär. Die sozialdemokratische Partei Sachsens ist unter dem Druck ihres Proletariats von allen sozialdemokratischen Parteien die linkste. Wir stellen die Parole der Einheitsfront auf und die sozialendemokratischen Arbeiter verlangen, dass sie verwirklicht wird. Unter ihrem Druck fühlten sich die linken Sozialdemokraten, von denen die meisten von zweifelhafter Qualität sind, trotzdem verpflichtet, in eine Einheitsfront und einen Block einzutreten, um in Sachsen und Thüringen Koalitionsregierungen zu bilden. Wir sind dort als Minderheit eingetreten: wir haben zwei Minister (einer von ihnen ist für die Angelegenheiten des Ministerrats zuständig) und die anderen haben die Mehrheit. Aber allein der Umstand der Bildung einer Koalitionsregierung in Sachsen stellt einen tödlichen Schlag für die deutsche Sozialdemokratie dar. Man kann es jetzt voll Vertrauen sagen und die sehr beeindruckenden Tatsachen, die der Eilbote heute brachte, lassen keinen Platz für Zweifel. In der Tat wisst ihr sehr gut, wie sehr die Arbeiter an den Organisationen hängen, die sie zum ersten Mal geweckt, gehoben und organisiert haben und sie zu einem bewussten Wesen gemacht haben. Dieses Gefühl einer engen Verbindung haben die deutschen Arbeiter – gegenüber der Sozialdemokratischen Partei. Die Partei hat sie zwar verraten, sie aber zugleich andererseits unter den Hohenzollern geschult und aufgeklärt und es ist sehr hart für die Arbeiter, mit ihr zu brechen, selbst wenn sie wissen, dass sie auf einem schlechten Weg ist. Deshalb ist trotz des Verrats und der Niedertracht der deutschen Sozialdemokratie die Arbeitermasse zwar unzufrieden, grummelnd, stößt die Partei von der Seite vorwärts, aber sie hat noch nicht mit ihr gebrochen, noch nicht den Schritt gemacht, der sie über sie hinaus und hin zu der Kommunistischen Partei führen wird. Das ist ein sehr schmerzlicher Schritt für einen Arbeiter, der über Jahre hinweg mit einer bestimmten Organisation verbunden war und es zeigt sich jetzt, dass er die Wendung nicht auf so brutale Weise zu machen braucht.

Die Arbeiter sehen, dass die Kommunist, die von den Sozialdemokraten als Partei angeprangert wurden, die den Untergang Deutschlands und der deutschen Arbeiterklasse bedeutet, eine Partei, mit der man nichts gemein haben könne, deren Mitglieder Vasallen Russlands seien etc. – es zeigt sich, dass diese Kommunist in einer bestimmten Region Deutschlands in der selben Regierung und in den selben proletarischen Hundertschaften wie die sozialdemokratischen Arbeiter sind. Die Mauer, die die Sozialdemokratie eifrig zwischen sich und den kommunistischen Arbeiter gebaut und gefestigt hat, wurde jetzt niedergeschlagen und, da die Masse der sozialdemokratischen Arbeiter psychologisch einer revolutionären Politik zuneigen, stürmen sie vorwärts zu den Kommunisten seit Breschen in der Mauer auftauchen. Das geschieht auf verschiedene Weise. Wenn sie nicht der Kommunistischen Partei beitreten, sind sie mit ihr ideologisch verbunden und wenn sie ihr beitreten, unterstützen sie sie völlig.

Hier die neusten Tatsachen nach den Nachrichten von heute. In der sächsischen Stadt Chemnitz (dem Geburtsort des großen Henkers Noske, Proletarier, Tabakarbeiter, einer der Arbeiterverräter, an denen in der Geschichte der verschiedenen Länder kein Mangel herrscht), in Chemnitz, wo Noske der absolute Herr war, wo er ein unbeschränktes Vertrauen genoss, in Chemnitz sind während der ersten Woche des laufenden Monats sechzig von Sozialdemokraten gegründete Fabrikkomitees zur Kommunistischen Partei übergegangen. In Berlin, in Brandenburg, im ganzen Land hat sich der Einfluss der Kommunistischen Partei auf kolossale Weise in den letzten Wochen vergrößert. Und was die sächsische Sozialdemokratie betrifft sagen die Nachrichten von heute: die sozialdemokratische Organisation in Sachsen „geht in die Brüche“ [im Original deutsch]. Die Sozialdemokraten wissen selber, dass sie in die Koalition mit uns eingetreten sind, als sie scheinbar Herren der Lage waren, und wenn manche linken Kommunisten, die keine sehr klaren Gedanken haben, in Deutschland sagen, dass sie die sächsischen Sozialdemokraten stützen, dann muss man sagen, dass sie sie stützen wie der Strick den Gehenkten. Trotzdem ist das Ergebnis der Koalition politisch brillant und das interessiert uns.

Aber das regelt noch nicht das Problem. In Sachsen ist der Einfluss unserer Partei besonders wichtig. Aber wir sind dort nicht allein. Es gibt in Sachsen auch den General Müller und der General Müller hat die Reichswehr, das heißt die deutsche Armee. Außerdem hat er durch eine besondere Verordnung die sächsische Polizei unter seinen Befehl gestellt. Er hat außerdem die geheimen faschistischen Organisationen, die sich Richtung Sachsen bewegen und die es dort in gewissem Maße auch gibt. Der General Müller steht an ihrer Spitze. Er forderte die sächsische Regierung auf, die proletarischen Hundertschaften aufzulösen. Die sächsische Regierung, die als Basis einen sehr demokratischen Landtag hat, verweigerte das. Der General Müller verhaftete ein paar Leiter von Hundertschaften.

Daneben gibt es andere Tatsachen, die das Vorhandensein einer Lage in Deutschland unterstreichen, die in keiner Verfassung vorgesehen ist. Der Faschist Rossbach, der Meutereien etc. organisiert hat, war in einem sächsischen Gefängnis und wurde befreit. Die sächsische Regierung befahl seine Verhaftung. Die Reichsregierung von Stresemann kam nicht umhin, diesen Befehl zu bestätigen: er sei zu verhaften wegen versuchter Revolte gegen die Rehgierung. Rossbach ging nach Bayern, im selben Land. Er nahm dort an öffentlichen Versammlungen teil und genoss den ganzen Schutz der bayrischen Regierung. Die bayrische Regierung organisierte in ihren Gebiet neben der Reichswehr, der offiziellen Armee, eine faschistische Armee, für die sie Geld aus dem Staatshaushalt bewilligte. Die Regierung Stresemann, die in Berlin belagert ist und schon ziemlich ohnmächtig ist, erklärte, dass sie keinen Putsch zulassen werde, weder einen rechten noch einen linken. Aber was Bayern betrifft, wagt sie nicht die Stimme zu erheben, während sie in Sachsen die Sprache der faschistischen Generäle spricht. Die Regierung hat selbst keine Kontrolle über die Armee. In der Regierung Stresemann gibt es Sozialdemokraten. Die Sozialdemokraten verlieren immer mehr an Boden, weil sich die Massen den Kommunisten zuwenden. Um nicht den letzten Fetzen ihres Einflusses zu verlieren müssen die Sozialdemokraten so tun, als ob sie die Kampagne gegen Sachsen nicht unterstützten – aber die Kampagne gegen Sachsen geht weiter. Der „Vorwärts“ schrieb: „Wir verlangen die Aufhebung des Belagerungszustandes. Wir protestieren gegen die Kampagne von General Müller gegen Sachsen.“ Aber der General Müller ist der Agent von Seeckt und Seeckt wurde von der Stresemann-Regierung ernannt und die Stresemann- Regierung umfasst Sozialdemokraten.

Ihr seht, Genossen, die Staats- und Regierungsverhältnisse zwischen der Regierung Stresemann und den verschiedenen Teilen Deutschlands haben weder Hand noch Fuß. Das Chaos erinnert einen ziemlich daran, wie es vor der Revolution 1917 lief. Es gab auf der einen Seite Kronstadt, das die bolschewistische Regierung anerkannte, die es zu dieser Zeit noch gar nicht gab (sie erkannten sie im Voraus an), es gab Petrograd, wo der Sowjet auf unserer Seite war, es aber neben ihm ein Zentrales Exekutivkomitee mit Tschcheïdse und Zeretelli gab, es gab die Ukraine mit der Rada, die Kommissare von Kerenski, die bewaffneten bolschewistischen Streitkräfte etc. Jeder gab jedem Befehle, niemand gehorchte dem anderen und alles bereitete sich auf die letzte Konfrontation vor. Das ist die Lage, die heute in Deutschland besteht. Es bleiben keine fünf Minuten mehr bis sich der Vorhang hebt.

Aber den Vorhang heben, ist keine leichte Sache. Wohlverstanden haben die Sozialdemokraten in Berlin keinerlei Macht. In der Regierung gibt es Stresemann, mit dem Poincaré nicht reden will (er redet lieber mit Stinnes) und der jetzt eine imaginäre Größe ist. Aber der General Seeckt ist eine reale Größe und auch der General Müller. Warum nur? Vor allem, weil sie 100.000 Soldaten und 3.000 Offiziere haben. Das ist alles, was der deutsche Staat unter dem Versailler Vertrag haben darf. Wie ihr wisst, haben die Franzosen die deutsche Armee auf eine sehr kleine Größe verringert.

Weiter gibt es in Deutschland 150.000 Polizisten, die „Schupo“ [Schutzpolizei] oder vorher „Sipo“ [Sicherheitspolizei] heißen, sie sind unter dem Befehl der Städte und der Kommunalverwaltungen, aber von nun an sind sie auf den Befehl von Seeckt unter die Autorität der Reichswehr gestellt worden, unter das Armeekommando. Außerdem gibt es 200 oder 300.000 Menschen in den faschistischen Bataillonen, geleitet von Generalstabsoffizieren, die in der Kunst der Beseitigung von Massen von Menschen bewandert sind und die sehr gut das Eisenbahnnetz von Deutschland kennen und sehr gut wissen, wie man ein Bataillon von einer Ecke des Landes zu einer anderen schickt, um die Arbeiter zu erdrücken und sie ihrer Führer zu berauben etc. Das ist ein gefährlicher Feind, ein Feind, der in Berlin eine Organisation hat, die unter einem gesellschaftlichen Blickwinkel betrachtet auf beträchtlichen Kräften beruht.

Ihr gegenüber gibt es das Proletariat, 15 Millionen stark, das in Sachsen und im ganzen Land seine Hundertschaften geschaffen und bewaffnet hat. Wie viele es von diesen Hundertschaften gibt, weiß ich nicht und wenn ich es durch Zufall wüsste (ich weiß es aber nicht), hätte ich nicht das Recht, es auf einer öffentlichen Versammlung zu sagen. Das ist heute ein Militärgeheimnis des deutschen Proletariats – die Zahl seiner Hundertschaften, ihre Waffen, wo sie sind. Und es scheint, dass sehr bald zwischen diesen beiden Kräften ein entscheidender Kampf um die Macht stattfinden wird. Die Telegramme von heute teilen uns den Bruch der Beziehungen zwischen Bayern und Sachsen mit: ihr habt es zweifellos gelesen. Sie sind beide Teile von Deutschland. Aber Deutschland ist nach seiner alten Verfassung eine Föderation aus verschiedenen Teilen, von denen jeder eine diplomatische Vertretung hat, und gestern haben Bayern und Sachsen ihre diplomatischen Beziehungen abgebrochen. Bayern führt einem Teil der Reichswehr faschistische Abteilungen zu und hat es in großem Maß schon gemacht. Auf der sächsischen Seite der Grenze gibt es die sächsischen Hundertschaften. In dieser Zeit führt der General Müller, dieser Agent der Reichsregierung oder genauer des Diktators Seeckt, Sachsen Artillerie zu. Die sächsische Regierung befolgt nicht den Befehl, die Hundertschaften aufzulösen, im Gegenteil appelliert sie an die Arbeiter des ganzen Landes, sie zu organisieren. Die gewerkschaftlichen Organisationen von Berlin sagen, dass sie einen Aufruf zum Generalstreik im Falle einer Operation gegen Sachsen befolgen würden. Als Reaktion auf faschistische Banden, die die Nutzung des Eisenbahnnetzes beabsichtigen, haben die Eisenbahner mit dem Streik gedroht. Die Lage kann nicht Wochen andauern; sie kann wahrscheinlich nicht Tage andauern.

Es wäre überhaupt nicht überraschend, wenn wir morgen oder übermorgen die ersten Telegramme über den Beginn entscheidender Kämpfe bekämen. Wie werden sie enden? Ich habe euch einen allgemeinen Überblick gegeben — die gesellschaftlichen Kräfte, der Zustand der Organisation und ich habe sozusagen die Truppenstärke der des Feindes angegeben. Aber wo führt das hin? Das hängt von der Energie des Proletariats, der von seiner Partei an den Tag gelegten Entschlossenheit, ihrer Opferbereitschaft ab. Hat das Proletariat eine Chance zu siegen? Gewiss. Das Kräfteverhältnis in ihm ist sehr günstig für seinen Sieg. Ich habe nicht erwähnt (ich erwähne es zur Erläuterung), dass 100.000 Soldaten in einem Land von 50 Millionen sehr wenig ist. Sie sind im ganzen Land zerstreut und wenn das ganze Land in Gärung sein wird, werden diese 100.000 Soldaten der Reichswehr, verzettelt in Kompanien und Bataillonen, sich wie ein Tier in der Falle fühlen. Unter ihnen (sogar wenn man sie als allgemein feindselig gegenüber den Arbeitern betrachten muss) sind die Mehrheit Bauernsöhne, Gerüchte werden unter ihnen umgehen, Panik wird sich unausweichlich ausbreiten und gerade wegen ihrer geringen Zahl und wegen ihrer Isolierung kann das das Rückgrat der Armee brechen.

Die Polizei im größten Teil Deutschlands besteht aus Arbeitern, die in Gewerkschaften organisiert sind, die sozialdemokratisch sind. Sie sagen das nicht offen, weil es Polizisten verboten ist, politischen Parteien anzugehören, aber sie können sich gewerkschaftlich organisieren. In Berlin sind die Polizisten alle Sozialdemokraten. Als Hypothese kann man sagen, dass ungefähr ein Drittel der Polizei kämpfen wird, sagen wir in Bayern, ein Drittel ungefähr wird neutral sein und ungefähr ein Drittel wird auf unserer Seite kämpfen. So wird allgemein die Polizei als reale Kraft gegen uns verschwinden.

Es bleiben folglich die faschistischen Organisationen. Die Chefs der faschistischen Bataillone sind zutiefst gefestigte konterrevolutionäre Kämpfer. Sie sind Angehörige des alten deutschen Offizierskorps, die die Arbeiterklasse und die Revolution mit dem jahrhundertealten Hass der Sklavenhalter, der Unterdrücker, der Junker, der Herren, der Kapitalisten etc. hassen. Sie werden ohne Gnade kämpfen. Aber ihre Bataillone bestehen aus Bürgersöhnen, Studenten, ruinierten Kleinbürgern und sogar teilweise den unwissendsten, verzweifeltsten, patriotischsten Arbeitern lumpenproletarischen Typs. Das ist eine sehr buntscheckige Menge und man kann nicht sicher sein, dass sie alle ihren faschistischen Chefs folgen werden, wenn der entscheidende Augenblick kommt. Die Leute treten heute ihren Bataillonen bei, manche aus Verzweiflung, andere um zu essen, aber im entscheidenden Augenblick wird ein wichtiger Teil dieser Armee sich beim Kontakt verzetteln, besonders wenn der revolutionäre Ansturm in der Reichswehr, der legalen Armee, zum Zögern führt. Denn die faschistischen Bataillone werden durch ihre Vereinbarung mit der Regierung Teil einer offiziellen Organisation der legalen Armee und besitzen so einen zentralisierten Apparat. Wenn dieser zentralisierte Apparat unter dem Druck des revolutionären Sturms in Stücke geht, werden die Faschisten auch zu versprengten Bataillonen, Guerillaabteilungen. Es ist wahr, dass sie viel Arbeiterblut vergießen werden, aber in diesem Fall wird ihre Erfolgsaussicht sehr klein sein, vom Endsieg gar nicht erst zu reden.

Das, Genossen, ist die innere Lage. Sie zeigt an, dass es günstig, sehr günstig für das deutsche Proletariat steht. Letzteres kann und will die Macht nehmen – alles deutet darauf hin. Wird es fähig sein, sie zu halten angesichts der internationalen Lage? Ich habe schon eine ganze Stunde eurer Zeit für den ersten Teil meines Berichts verwendet und ich werde versuchen, für den letzten so kurz wie möglich zu sein. Ich frage: wird das deutsche Proletariat angesichts der gegebenen internationalen Lage die Macht halten? Deutschland ist auf der Landkarte von Europa nicht allein. Seine Nachbarn sind Belgien und Frankreich, Nachbarn, die seine Eroberer sind, die es versklavt und unterdrückt haben zusammen mit seinen Nachbarn im Südosten und Nordosten, der Tschechoslowakei und Polen. Die anderen Nachbarn wie Holland oder Schweden, die skandinavischen Länder oder die Schweiz und Österreich haben keine große Bedeutung. Sie können keine unabhängige Rolle spielen und werden allgemein nicht in der deutschen Revolution intervenieren. Wer könnte intervenieren? Großbritannien und nach ihm Frankreich, mit Belgien, Polen, der Tschechoslowakei. Dort lebt die Gefahr. Und hier betrifft uns die Frage direkt, sie betrifft die Sowjetunion, denn, natürlich, wenn die deutsche Revolution zu einem europäischem Krieg führen wird, einem imperialistischen Krieg, wird uns das direkt berühren. Und wir müssen hier die Lage einschätzen, um eine klare Perspektive zu haben, was uns morgen bevorstehen kann.

Ich sagte, dass Großbritannien intervenieren könne. Aber in diesem Punkt können wir heute klar die Ohnmacht Großbritanniens auf dem europäischen Kontinent einschätzen. Man muss sie nicht nur wegen der deutschen Revolution, sondern auch wegen uns selbst einschätzen. Großbritannien ist auf dem europäischen Kontinent ohnmächtig. Je klarer wir das erkennen, je deutlicher und entschiedener wir das wiederholen, desto nützlicher wird das für unsere Politik sein in dem Sinn, dass Großbritannien weniger mit Drohungen und Ultimaten herumfuchteln wird. Tatsächlich ist Großbritannien eine reine Seemacht. Es hat eine sehr große Rolle in Europa gespielt. Aber wie und wann? Jedes Mal, wenn zwei Länder um die Vorherrschaft in Europa gekämpft haben. Als Frankreich und Deutschland mit annähernd gleichen Kräften kämpften, hat sich Großbritannien zurückgehalten und langfristig mal dem einen und mal dem anderen geholfen. Es hat vorher schon das gleiche gemacht, als Spanien stark war: Großbritannien hat es auf die selbe Weise mal gestützt und mal geschwächt. Großbritannien hat diese Rolle bis zum jetzigen Jahrhundert gespielt. Es nutzte den Kampf zwischen den beiden stärksten Staaten Europas und stützte den, der etwas schwächer war mit Geld, mit technischer Unterstützung, mit Waren gegen den Stärkeren. Und das Mächtegleichgewicht von Europa hing von ihm ab. Es bekam dadurch große Vorteile für geringe Unkosten: das ist seine jahrhundertealte Politik. Warum hat es im Krieg von 1914 interveniert? Weil Deutschland zu stark geworden ist. Deutschland ist so stark geworden, dass Großbritannien seine traditionelle Politik aufgeben musste. Es musste zur Waffe greifen und sich im Krieg engagieren, kämpfen. Es ist dazu gekommen, zahlreiche britische Arbeiter zu mobilisieren und sie auf den europäischen Kontinent zu werfen. Das Ergebnis war, dass es Frankreich so sehr unterstützt hat, dass es schließlich Deutschland erdrückt hat. So liegt heute die Hegemonie in Europa ausschließlich bei Frankreich. Deutschland liegt auf den Knien und Frankreich will mit ihm nicht einmal über die Kapitulationsbedingungen verhandeln. Aber von dem Augenblick an, wo Frankreich eine völlige Hegemonie, völlige Herrschaft erlangt hat, hatte Großbritannien keine Zuflucht mehr. Frankreich kündigte an: „Ich werde die Ruhr nehmen“. Großbritannien antwortete: „Das liegt nicht in meinem Interesse“. Es gibt da einen großen Lärm, der lange andauert. Warum wäre es nicht im britischen Interesse? Weil es Deutschland ein bisschen gegen Frankreich heben muss, um das Kräftegleichgewicht wiederherzustellen. Und was macht Frankreich? Trotz der Proteste von Curzon rückt es im Ruhrgebiet ein und nimmt es. Und was macht das schreckliche Großbritannien? Es findet sich mit dem Geschehenen ab. Das schreckliche Großbritannien bedrohte die Türkei, aber die Türken, die mit uns gutnachbarschaftliche Beziehungen haben, haben eine Armee organisiert, nicht ohne unsere Hilfe.

Was machte Großbritannien? Es hat die Griechen gegen sie geschickt. Es hatte absolut keine eigenen Streitkräfte. Was machten die Türken? Sie haben die Griechen geschlagen und sind nach Konstantinopel marschiert, gegen das schreckliche Großbritannien, das hastig die Stadt verlassen hat. Genossen, aus dem Blickwinkel der internationalen Beziehungen ist das eine Sache von größter Bedeutung in unserer Epoche: Großbritannien ist auf dem europäischen Kontinent ohnmächtig. Selbstverständlich werden wir es nicht beklagen.

Was kann Großbritannien gegen die deutsche Revolution? Ihr ein Ultimatum stellen? Aber das wird nicht reichen. Folglich geht es wieder um die Frage, was Frankreich machen wird und nicht Großbritannien. Wenn Frankreich sich entscheidet, zu intervenieren, kann Großbritannien ihm nützen und ihm mit Geld helfen, das es sehr dringend braucht. Es kann Häfen und Meerestransportwege von Deutschland blockieren etc. Die Rolle von Großbritannien wird die eines Verwalters und eines Piraten sein. Aber die entscheidende Rolle im Sinne der Besetzung Deutschlands wird von Frankreich gespielt werden und seinen Vasallen vor Ort, Belgien, Polen und der Tschechoslowakei. Ist das möglich? Was wird Frankreich dort entscheiden? Das ist die grundlegende Frage.

Auch dort ist es unmöglich präzise Prophezeiungen zu machen und zu sagen: Nein, sicher nicht. Aber man kann die Lage analysieren und unsere Analyse zeigt, dass es gute Gründe dafür gibt zu denken, dass es für Frankreich zu viel wäre. Ein Land zu besetzen, ein Land in Revolution mit einer Bevölkerung von 60 Millionen, ein Land, wo 59% der Bevölkerung, wenn nicht mehr, in den Städten leben und nur eine Minderheit in den Dörfern, ein Land, das durch Eisenbahnlinien kariert ist, das wird keine leichte Aufgabe sein. Wir haben hier die Erfahrung der Ukraine. Es gab dort insgesamt 250.000 deutsche und österreichisch-ungarische Soldaten. Die Ukraine ist nicht Deutschland: es gibt dort wenig Städte, das Eisenbahnnetz ist weniger entwickelt und die Deutschen haben sich nicht weg von den Städten und Eisenbahnen vorgewagt. Und was war das Ergebnis? Spontane Bauernrevolten entfalteten sich um sie herum, die deutschen Soldaten wurden von Monat zu Monat mehr demoralisiert, gerade sie stellten während der deutschen Revolution die revolutionärsten Regimenter dar, als sie zu den Ihren zurückkehrten. Wenn man gut rechnet — es mangelt nicht an Besetzungen in der Geschichte im allgemeinen und in unserer Epoche – wenn wir die Rechnung aufstellen, einen Mittelwert bilden und suchen, wie viele Soldaten nötig sein werden, um ein revolutionäres Deutschland zu besetzen, sagt uns diese Rechnung, dass eine solide Besetzung mehr als 1.700.000 Leute brauchen wird. Das ist die ganze Armee in Friedenszeiten. Wenn man die Armeen der europäischen Vasallen Frankreichs hinzufügt, kommt man noch auf unter anderthalb Millionen.

Aber Genossen, man braucht die Armee für andere Sachen als die Besetzung Deutschlands. Wenn Frankreich Deutschland besetzen will und entscheidet, damit zu beginnen, wird es einen Teil seiner Armee zurücklassen müssen, um seine eigene Arbeiterklasse zu zwingen, diese Besetzung zu akzeptieren. Schließlich hat es Gründe, dass Frankreich seine Armee in Friedenszeiten beibehält. Es hat Gründe, mindestens eine halbe Million Soldaten im Land und in den Kolonien zu behalten. Das ist das Minimum. Das gleiche gilt für seine Vasallen. Anders gesagt: damit Frankreich fähig wäre, sich für die Besetzung Deutschlands zu entscheiden, müsste es die Mobilisierung von mindestens fünf oder sechs Klassen, wie man in Frankreich für Jahrgänge sagt, beschließen. Ist das machbar? Alles deutet darauf hin, dass es das nicht ist, ohne eine große Spannung, einen sehr ernsten inneren Konflikt zu provozieren. Wir vergessen nicht, dass es in Frankreich nicht mehr als 39 Millionen Franzosen gibt. Es hat anderthalb Millionen im imperialistischen Krieg verloren. Die deutsche Bevölkerung vermehrt sich schnell, aber die französische geht zurück, langsam aber doch. Es gibt in Frankreich keine einzige Familie, die nicht einen Sohn, einen Bruder, einen Ehemann oder einen Vater verloren hat. Für Frankreich bedeutet die Mobilisierung einer Klasse nicht das selbe wie hier. Bei uns bringt eine Klasse eine Million Menschen. Unser Land ist ausgedehnt, seine Bevölkerung vermehrt sich und hier sind eine Million eine kleine Truppenstärke. Dagegen muss man in Frankreich bei einer auf 38,5 Millionen geschrumpften Bevölkerung, einer Bevölkerung, aus der anderthalb Millionen Menschen herausgerissen wurden, wo es an Arbeitskräften mangelt (aus Mangel an jungen Arbeitskräften gibt es jetzt in Frankreich viele Spanier, Italiener, Polen und Tschechoslowaken), Franzosen mobilisieren, französische Bauern mobilisieren. Und sie werden erdrückt von Steuern, weil die Staatschuld sich auf 300 Milliarden beläuft. Der französische Bauer ist gerade aus den Schützengräben zurückgekehrt. Denn man hat buchstäblich alte Männer mobilisiert , 45-jährige Männer. Es ist nicht lange her, dass sie auf ihr Land zurückkehrten und Steuern erhoben wurden. Und man sagt ihnen jetzt, dass nach ihrem vollständigen und ruhmreichen endgültigen Sieg, der sie so viel gekostet hat und für den sie weiterhin zahlen müssen, sie jetzt wieder 500.000 Männer geben müssen, um diesen Sieg endgültig zu festigen, mit der Perspektive auf einen europäischen Krieg.

Die französischen Kommunisten, die französischen Genossen denken, dass eine derartige Maßnahme nicht ohne wirklichen Zwang durchführbar wäre, da heißt mit Blutvergießen etc. Das ist eine Schwierigkeit. Auf der anderen Seite wird es nicht möglich sein, eine Million Soldaten in Deutschland zu mobilisieren, um die Tschechoslowakei und Polen zu zwingen 750.000 Mann zu schicken und sie dort auf Kosten eines ruinierten, verarmten Deutschlands zu lassen, das die Besatzung völlig verarmen und ruinieren wird. Das bedeutet auf Kosten derselben Arbeiterklasse Soldaten zu halten, die sich in der Glut der Revolution demoralisieren wie die deutschen Soldaten hier demoralisiert wurden. Kurz gesagt, man kann die Schwierigkeiten für Poincaré nicht abschätzen. Es wird für ihn natürlich nicht sehr schmeichelhaft sein, wenn sich in der Tür nebenan vom ihm eine proletarische Revolution entwickelt – und seine Arbeit ist nicht leicht.

Aber das bedeutet nicht, Genossen, dass die französische Bourgeoisie in jedem Fall diese Arbeit machen wird. Wenn eine Klasse, die zu herrschen gewohnt ist, mit Ruin bedroht ist, gibt es keinen Wahnsinn, zu dem sie nicht Zuflucht nehmen kann. Und wenn ich die Bedingungen einer Besetzung analysiere, mache ich das, um zu zeigen, dass ihre Arbeit in diesem Fall nicht so leicht ist, die Chancen nicht 100% für unsere Feinde stehen, sondern im Gegenteil nur 25%, die Geschichte gibt uns 75%.

In jedem Fall kann man keinen Zweifel haben, dass die französische Bourgeoisie noch lange zögern wird. Verschiedene Gruppen und Parteien werden sich gegenüber stehen, bevor eine Entscheidung über ein so teuflisches Abenteuer getroffen ist. Folglich wird die deutsche Revolution eine Schonfrist von zwei, drei oder vier Monaten haben und wir wissen, was das bedeutet. Eine Schonfrist bekommen, heißt alles bekommen.

Dann gibt es noch Polen. Frankreich kann die Arbeit nicht allein machen: es braucht sicher die Hilfe von Polen. Kann Polen eingreifen? Wird es eingreifen? Hier, Genossen, kann man nicht den Propheten spielen (das ist im allgemeinen eine undankbare Rolle, wie schon in biblischen Zeiten unterstrichen wurde), aber für einen Marxisten, der die konkreten Bedingungen analysiert, ist es nicht nur erlaubt, sondern Pflicht, die Bedingungen zu untersuchen und vorherzusagen, dass etwas mehr oder weniger wahrscheinlich ist. Also bezüglich Polen muss ich mich zuerst und vor allem gegen die Philisterhaltung wehren oder gegen die Meinungen, die uns überschwemmen, die in die Reihen der Partei eingedrungen ist, wonach der Krieg gegen Polen unvermeidlich sei, dass er beschlossen sei, fast besiegelt. Genossen, man darf sich nicht diesem Fatalismus hingeben, daraus werden nur schlimme Katastrophen folgen. Davon ist nirgends die Rede, in keinem Buch, in keinem Programm der Partei, dass wir Krieg gegen Polen haben werden. Ist ein derartiger Krieg ausgeschlossen? Überhaupt nicht. Leider nicht. Was sind die Chancen, dass wir diese Epoche in Frieden durchqueren? Das kann man unmöglich sagen, aber ich denke, dass es sie gibt, genau aus dem selben Grund, der es für Frankreich schwer macht, ein revolutionäres Deutschland zu besetzen.

Ich habe darüber schon gesprochen. Polen denkt selbst nicht daran, auf eigene Faust isoliert zu kämpfen: es kann dort nur von Frankreich hineingezogen werden, wenn sich eine gigantische Koalition zur Erdrückung Deutschlands bildet. Wahrscheinlich würde man dann versuchen, diesen Kompressionszylinder auf unseren Rücken zu legen, wenn diese Angelegenheit zu einem gigantischen ganz Europa umfassenden Plan wird. Aber Polen selbst kann sicher keinen Plan haben, weil es sich in der Idee gefallen muss, die Intervention auszubeuten, um sich Danzigs und Ostpreußens zu bemächtigen, das heißt um durch diese Intervention ein paar Krümel vom Tisch abzubekommen. Das ist eine Politik des kleinen Diebstahls. Aber die Frage hat einen anderen Aspekt, der für die deutsche Revolution unwichtiger, aber für Polen und vor allem für uns, für unsere Bauern direkte Bedeutung hat. Wir sind ein getreideexportierendes Land geworden: im wirtschaftlichen Sinne hängt unsere ganze Zukunft in den nächsten Jahren von unserer Fähigkeit zum Getreideexport ab. An unserer verfluchten Schere [zwischen landwirtschaftlicher und Industrieproduktion], die sich in den letzten Monaten nicht geschlossen sondern geöffnet hat, können wir auf zwei Weisen arbeiten – durch die Verbesserung des Zustands unserer Industrie, wo sehr viele Sachen nicht zufriedenstellend sind, und durch die Vergrößerung des Getreideexports der Bauern, so dass sich der Getreidepreis bei uns erhöht. Um unser Getreide zu exportieren, müssen wir Verbindungswege finden, auf dem Lande oder dem Wasser. Deutschland ist für uns der wichtigste Markt für das Getreide unserer Bauern. Ohne unser Getreide können die deutschen Arbeiter nicht überleben und die [deutsche] Sowjetrevolution sich nicht halten. Amerika wird sie nicht ernähren und wenn es sie ernährt wird es sein wie für uns im dritten, vierten und fünften Jahr der Sowjetrepublik. Wenn Deutschland eine ähnliche Katastrophe widerfahren würde, könnte es nach einem gewissen Zeitraum geschehen, dass es vom Getreide der American Relief Association ernährt würde, dem philanthropischen amerikanischen Getreide; aber im ersten Jahr der Revolution wird der amerikanische Markt gewiss der deutschen Republik kein Getreide geben.

Großbritannien wird sehr wahrscheinlich die Blockade der deutschen Häfen beschließen, wie es das mit unseren gemacht hat. Eine einzige Möglichkeit bleibt, wie russisches Getreide, Getreide unserer Sowjetunion nach Deutschland geliefert werden kann. Es gibt zwei Wege, auf denen das geschehen kann: auf dem Meer (das wäre nicht ohne Gefahr, weil Großbritannien die Wellen beherrscht) und auf dem Landweg durch Polen. So ist für die deutsche Revolution unser Getreide eine Frage auf Leben und Tod, genauso wie der deutsche Markt eine Frage auf Leben und Tod für unsere Wirtschaftsentwicklung ist. Wir brauchen den deutschen Markt für unser Getreide und wir brauchen deutsche Produkte, Produkte der deutschen Industrie für unsere Bauern und für unsere Arbeiter. Allgemein gibt es auf der Welt keine zwei Länder, deren Wirtschaftsstruktur und deren Interessen sich so ergänzen wie die der Sowjetunion und Deutschlands, ein superindustrielles Land mit einem hohen technischen und Kulturniveau, und wir mit unseren unbegrenzten Räumen, unseren ungeformten Möglichkeiten in der Landwirtschaft, unserer rückständigen Technik und dem niedrigen Niveau unserer Kultur. Eine praktische Union zwischen diesen beiden Ländern auf wirtschaftlicher und jeder anderen Ebene stellt die größte Macht dar, die es jemals auf der Erde gegeben hat.

Aber zwischen unseren beiden Ländern gibt es Polen. Man kann sich leicht davon überzeigen, indem man auf die Landkarte schaut und die polnischen Diplomaten machen das immer wieder und überzeugen sich. Das macht die gegenwärtige internationale Lage sehr ernst: Alles läuft auf eine einfache Handelsanfrage bezüglich der Freiheit des Freihandels nach Deutschland, nach Westen hinaus: wir geben der Industrie von Lodz den Durchgang nach Persien für ihre Waren und alles, was sie wollen. Freien Durchgang für Handelswaren. Wenn diese Frage in der polnischen Presse dargestellt werden, antworten viele Politiker, dass das nicht möglich sei, dass man Polen nicht verpflichten könne, sich selbst in die Zange zwischen Russland und Deutschland zu begeben. Das ist überhaupt nicht überzeugend, weil diese Zange eine geographische Tatsache ist. Es gibt sie: ein Staat kann sich nicht von da wegbewegen, wo er ist. Polen liegt da, wo es ist, zwischen uns und Deutschland. Als wir mit Polen in Riga in Verhandlungen standen, haben wir vorgeschlagen, dass einem gewissen Teil unseres Gebiets eine gemeinsame Grenze mit Deutschland gegeben werde, was uns einen direkten Zugang nach Deutschland gegeben hätte. Wir hätten so natürlich Polen viel weniger gestört. Aber Polen profitierte von der Anwesenheit von Wrangel in unserem Hinterland, der noch [gegen uns] kämpfte, und hat uns schlechtere Bedingungen gestellt, die wir akzeptieren mussten. Wegen dieser Bedingungen wurden wir von Deutschland abgeschnitten. Polen trennt uns jetzt.

Dennoch kann Polen unter diesen Bedingungen zwei Rollen spielen: die der Brücke zwischen uns und Deutschland oder die der Barriere, einer undurchdringlichen Mauer, zwischen uns und Deutschland. Das hängt von den Politikern in Polen ab. Wir ziehen es vor, dass Polen die Rolle einer Brücke spielt. Auf dieser Brücke kann es Brückenzoll erheben und verlangen, dass jeder, der über die Brücke geht, einen Betrag für das Recht zahlt, die Brücke zu überqueren. Wir sind bereit zu zahlen. Polen wird alle Vorteile von seiner geographischen Lage in der Zange haben: aber wenn es vorzieht, eine Barriere zwischen uns und Deutschland zu werden, stellt es etwas dar, was die deutschen Arbeiter in Hunger stürzen und uns unseres Zugangs zum europäischen Markt und damit zum Weltmarkt berauben wird. Die Frage kann nicht anders gestellt werden. Die Frage des freien Verkehrs nach Westen ist eine Frage von Leben und Tod für uns ebenso wie für die deutsche Arbeiterklasse. Wird Polen das zulassen? Warum sollte es das verweigern? Warum ergreift die polnische Bourgeoisie nicht die Initiative, die ihm Profite bringen und auch Westeuropa gewisse fürchterliche Komplikationen ersparen würde? Wir verstehen unter Durchgang selbstverständlich das wirkliche Recht auf Durchgang, das heißt, dass wir die Möglichkeit haben werden, unser Getreide ohne Unterbrechung nach Deutschland zu schicken und damit es ankommt braucht Polen weder gegen und noch gegen Deutschland Krieg zu führen, andernfalls verschwindet unser Band und wir können unser Getreide nicht transportieren. Man muss daher dort eine beiderseitige Verpflichtung haben, sich nicht in die deutschen Angelegenheiten einzumischen. Ein einfaches und klares Programm. Das wird unseres gegenüber Polen sein. Ist das ein Programm des Friedens oder des Krieges? Absolut ein Programm des Friedens.

Ich sage sehr ernst, dass für uns der Krieg eine schreckliche Prüfung sein würde und wir müssen uns darüber klar sein. Wir haben gerade unsere Genesung abgeschlossen, wir sind weit davon entfernt, die beiden Schneiden zusammenzubringen die „Schere“ ist noch wichtig. Krieg heute, wenn man uns dazu zwingt, wäre kein Kampf im kleinen Ausmaß, sondern einer, den die Handbücher „großen Krieg“ nennen, das heißt ein Krieg, an dem Millionen Mitkämpfer beteiligt sind und der Monate über Monate dauert. Das würde einen monströsen Schlag gegen unsere wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung darstellen und natürlich einen nicht geringeren wirtschaftlichen und kulturellen Schlag für die Entwicklung Polens. Allgemein ist es sehr hart, jetzt vorherzusagen, was die Folgen eines derartigen Krieges beinhalten würden, der zahlreiche andere Länder mit hineinziehen würde, aber die Gefahr besteht, dass in diesem Krieg die deutsche Revolution in Blut und Ruinen zusammenbrechen kann. Wir haben vor allem Interesse daran, dass die deutsche Arbeiterklasse diese Probleme für sch löst, mit ihren eigenen Kräften, in einer Umgebung von äußerem Frieden der Art, dass sich der Bürgerkrieg in Deutschland nicht in einen imperialistischen Krieg um es herum verwandelt.

Deshalb müssen alle unsere Anstrengungen, die unserer Diplomaten, auf die Verteidigung des Friedens gerichtet sein und sind es, seiner Verteidigung bis zum Ende. Es ist schwierig zu sagen, ob wir das schaffen werden, weil wahrscheinlich eines Tages früher oder später die Widersprüche, die es in Europa gibt, zu einem blutigen internationalen Konflikt führen werden; aber die Verteidigung des Friedens und die der deutschen Revolution und unser möglichst langer Schutz vor dem Krieg – das sind die wichtigsten Aufgaben unseres Staates. Deshalb ist es völlig falsch zu sagen, wie manche auf philisterhafte Weise in Philisterkreisen tun, dass wir auf jeden Fall gegen Polen kämpfen werden. Es ist nicht so, dass sich die Frage stellt. Man muss sagen, dass wenn sie sich so stellen würde, die Arbeiter an der Basis und die Bauern uns nicht verstehen würden. Der Krieg wäre nichts komisches, ich wiederhole es, und heute Millionen Arbeiter in den Krieg zu schicken und Hunderttausende Pferde und Bauernwagen – all das ohne absolute Notwendigkeit zu tun, wäre reiner Wahnsinn und ein sehr schweres Verbrechen. Davon zu reden, in den Krieg zu gehen ohne die Unterstützung der deutschen Arbeiterklasse, ist eine Abstraktion. Was kann ein besseres Mittel zur Unterstützung der deutschen Arbeiterkasse sein als ihr die Versorgung mit Getreide zu sichern – das machen wir, indem wir das Recht auf Durchgang durch Polen fordern. Die bessere Unterstützung für die Arbeiterklasse wäre, wenn Polen nicht gegen Berlin oder Posen schlägt, und diese Unterstützung geben wir ihm, indem wir von Polen eine wechselseitige Vereinbarung erlangen, sich von jedem bewaffneten Eingreifen in den deutschen Angelegenheiten fernzuhalten. Das ist unser Programm, das wir vor die Massen bringen werden, vor die Arbeiter und Bauern. Damit es verwirklicht wird, dass wir die deutschen Arbeiter nicht verraten, dass wir alles uns mögliche tun, um sie zu retten, aber in der Form, die für sie nützlich und nötig ist: wir kämpfen mit allen unsren Kräften und Ressourcen für die Bewahrung des Friedens, bis zur äußersten Grenze des Möglichen! Das ist unser Programm.

Ist sein Erfolg garantiert? Wir wissen nicht, wie der Gang der Ereignisse in Deutschland sich in Frankreich, in Polen etc. widerspiegeln wird. Wir wissen nicht, welche Grenzen es für das Abenteurertum, den Blutdurst und die Plünderungssucht der herrschenden Klassen der verschiedenen Länder gibt. Folglich können wir nicht allen, den Massen des Landes, garantieren, dass die tatsächlichen Ereignisse nicht zu einem blutigen Konflikt führen werden und wir sagen, dass man sich darauf vorbereiten muss. Wenn man schätzt, dass die Kriegswahrscheinlichkeit weniger als 33% beträgt, muss man sich zu 100% darauf vorbereiten. Denn wenn das Schicksal nach allem ein blutiges Schicksal für uns sein wird, wollen wir nicht besiegt werden. Aber bei dieser Vorbereitung ist die ideologische Vorbereitung von uns selbst und der Arbeiterklassen, die hinter uns und mit uns marschieren ein sehr wichtiger Faktor.

Alle Bürger dieses Landes müssen klar unsere Politik verstehen. Und das ist nicht eine Politik, leichtfertig mit dem Krieg zu spielen, dem Feuer eines europäischen Konflikts; im Gegenteil ist es ein systematischer, erbitterter, anhaltender und konsequenter politischer Kampf für die Bewahrung des Friedens rings um die deutsche Revolution. Und, Genossen, wir müssen dafür sorgen, dass die großen Massen unseres Landes gleichzeitig wie die Regierung und die Diplomaten Schritt für Schritt alle Etappen der deutschen Revolution in der internationalen Lage durchleben, damit sie sich ernsthaft in allen Maßnahmen, allen Initiativen widerspiegeln können, die von der Sowjetmacht ergriffen werden, die auf die Sicherung des Friedens durch den Durchgang und die wechselseitige Vereinbarung abzielen, nicht in die deutschen Angelegenheiten zu intervenieren.

Wenn man mit einem Bauern spricht (ich stelle die Frage auf die schmuckloseste Weise), irgendwo in der Provinz Pensa, wo man sich nicht sehr sicher ist, was Deutschland ist und wo es liegt, und ihm sagt: „Genosse oder Bauer, wir werden für die deutschen Arbeiter Krieg gegen Polen machen – gib uns deinen Wagen, dein Pferd und dein Getreide“, dann wird dieser Bauer euch nicht verstehen und sich von euch abwenden. Aber nehmen wir an, dass man ihm auf praktische Weise zeigt, dass wir in einem Kampf für die deutschen Arbeiter für seine Interessen kämpfen, weil er sein Getreide exportieren muss und aus Deutschland Industrieprodukte importieren kann; dass durch diesen friedlichen Druck, diese Verhandlungen etc. niemand eine Maßnahme, eine Initiative ergreifen muss, und wir das Problem friedlich regeln werden. Aber nehmen wir an, dass wir es nicht schaffen, dass Polen eine Barriere zwischen uns und Deutschland wird? Wenn die herrschenden Klassen Polens wagen, einen mörderischen und selbstmörderischen Versuch zu unternehmen, beide Völker zu ersticken, die durch Polen getrennt sind, die Deutschen und uns, was unausweichlich ist, wenn es unter diesen Bedingungen Krieg gibt: wir würden allen Bauern beweisen – von den Arbeitern rede ich nicht –, dass sie uns gegen unseren Willen, trotz aller unserer Bemühungen, ein historisches Schicksal aufzwingen; dass wir mit ihnen und an ihrer Spitze alles uns mögliche gemacht haben, um den deutschen Arbeiter auf friedliche Weise zu helfen.

Das, Genossen, ist der wichtigste Erfolgspfand unter diesen schwierigen historischen Prüfungen, im Krieg, dass das Volk bewusst durch jede Epoche seiner Vorbereitung hindurchgeht, dass es versteht, dass wir versucht haben, das Blutvergießen zu vermeiden, das uns umgibt, dass wir alles gemacht haben, um den Bauern die Möglichkeit der friedlichen wirtschaftlichen Entwicklung zu sichern, wie man ihnen als Perspektive auf der Landwirtschaftsausstellung gezeigt hat und auch den Arbeitern, die das Niveau unserer Industrie heben müssen. Ich sage, dass, wenn wir alle ernsthaften und ehrlichen Anstrengungen unternommen haben, die Massen mit uns übereinstimmen werden und wenn der Krieg trotzdem ausbricht, wird es keine Spaltung zwischen der Arbeiterregierung und der Arbeiterklasse oder zwischen der Arbeiterklasse und der Bauernschaft geben.

Wenn dann dieser ungeheure Block von diesem revolutionären Land gebildet wurde, wird es sich sagen: es geht nicht anders. Wir werden kämpfen, wir werden gut kämpfen und wir werden unsere Feinde besiegen.


Anmerkung von MIA

1. In dieser Version wurde die geschlechtsneutrale Endung “Innen” in einer etwas inkonsequenten Weise benutzt, die den damaligen Gepflogenheiten nicht passt. Wir haben sie deshalb zur damals üblichen männlichen Form geändert.


Zuletzt aktualisiert am 3. September 2014