L. Sedov

Rotbuch über den Moskauer Prozess


Alter Vers, neue Weise


„Kann man auch nur eine Minute lang an die Echtheit der Nachricht glauben ..., dass Trotzki. ehemaliger Vorsitzender des Sowjets der Arbeiterdeputierten in Petersburg von 1905, ein Revolutionär, der jahrzehntelang der Revolution selbstlos gedient hat, – dass dieser Mensch mit einem von der „deutschen Regierung“ finanzierten Plan etwas zu tun hat? Das ist doch eine glatte, unerhörte, gewissenlose Verleumdung gegen einen Revolutionär“. (Lenin in der Prawda vom 16. April 1917)

Es gibt Verleumdungen, die man nicht widerlegt, über die man hinwegschreitet, um sich den Stiefel nicht zu beschmutzen. Eine solche Verleumdung ist die von der „Verbindung mit der Gestapo“. Doch auch dieser Gedanke ist nicht Stalin zuerst eingefallen. Stalin wiederholt bloß sklavisch die alte Verleumdung der englischen, russischen u.a. Imperialisten von den „deutschen Spionen Lenin und Trotzki“, und frischt sie nur ein bisschen auf durch das Wörtchen Gestapo.

Als 1917 die russische Bourgeoisie und ihre Agenten Miljukow, Kerenski usw. die bolschewistische Partei zu verleumden und anzuschwärzen sich bemühten, eine Partei, auf die alle Hoffnungen der russischen Arbeiterklasse und breiter Schichten der Bauernschaft gerichtet waren, erklärten sie deren Führer Lenin und Trotzki zu „Agenten des deutschen Generalstabs“. Wenn Stalin damals nicht unter den verleumdeten Führern – Lenin, Trotzki, Sinowjew – war, so nur deshalb, weil er in jener heroischen Epoche eine zu wenig bekannte und drittrangige Gestalt war. Der elende und verachtenswerte Kerenski bleibt sich wenigstens selbst treu, wenn er heute schreibt, es sei nicht verwunderlich, dass Trotzki und Sinowjew mit der Gestapo in Verbindung standen, denn – nicht wahr – Lenin, Trotzki u.a. taten es ja 1917 auch mit General Ludendorff!

Kerenski verknotet den Faden seiner eigenen damaligen Verleumdung gegen Lenin, Trotzki und Sinowjew mit Stalins heutiger Verleumdung gegen Trotzki und Sinowjew (Wäre Lenin nicht tot, so würde er selbstredend erster und oberster Gestapoagent sein). Wie lehrreich ist doch der Händedruck zweier Verleumder – Kerenskis und Stalins – über eine ganze Epoche hinweg: 1917–1936!

In dem Zitat, das wir diesem Kapitel als Epigraph voranstellen, sagt Lenin 1917 in der Prawda: „Das ist doch eine glatte, unerhörte, gewissenlose Verleumdung gegen einen Revolutionär“. Heute sind diese Worte aktueller denn je. Inzwischen aber war die ganze Revolution!

Als die Prawda entrüstet diese Zeilen druckte, war Trotzki noch nicht neben Lenin Führer der Oktoberrevolution, in der, mit Stalins eigenen Worten „die ganze Arbeit der praktischen Organisierung des Aufstandes unter der unmittelbaren Leitung des Vorsitzenden des Petrograder Sowjets, des Genossen Trotzki, ging. Man darf mit Bestimmtheit behaupten, dass die Partei den schnellen Übergang der Garnison auf die Seite des Sowjets und die geschickte Arbeitsmethode des militärischen Revolutionskomitees vor allem und hauptsächlich dem Genossen Trotzki verdankt“. (Artikel Stalins in der Prawda vom 6. November 1918). Trotzki war damals noch nicht neben Lenin und Sinowjew der Schöpfer und Führer der Kommunistischen Internationale. Trotzki war damals noch nicht der Führer der Roten Armee und Organisator der Siege im Bürgerkrieg.

Und kann es einen besseren Beweis für Lenins Vertrauen zu Trotzki – und nur zu Trotzki – geben als Lenins berühmte Blankovollmacht? 1919, mitten im Fieber des Bürgerkriegs, gab Lenin L.D. Trotzki folgendes Schriftstück

„Genossen!

Ich kenne den strengen Charakter der Verordnungen des Gen. Trotzki und ich bin so überzeugt, so absolut überzeugt von der Richtigkeit, Zweckmässigkeit und Notwendigkeit für die Sache der von Gen. Trotzki erteilten Verordnung, dass ich diese Verordnung voll und ganz unterstütze.

W. Uljanow-Lenin.“

Diese wenigen Zeilen schrieb Lenin im Juli 1919 zuunterst auf einen leeren Briefbogen des Vorsitzenden des Rats der Volkskommissare, damit Trotzki über Lenins Unterschrift einen beliebigen Beschluss einschreiben könnte, der also im Voraus Lenins Unterschrift besaß!

* * *

Eines der reaktionärsten französischen Blätter, das klerikale Echo de Paris meldet bereits, die französischen Trotzkisten seien Agenten des deutschen Reichs. Die Humanité hat diese Entdeckung sofort aufgegriffen. Nun ja, wenn das Echo de Paris es sagt, dann ist Zweifel nicht mehr am Platze.

Die polnischen Bolschewiki-Leninisten sind Agenten der Geheimpolizei, sagt die Prawda. Aber gewiss doch! Man kann sie nicht bewegen, mit Thorez und Duclos auszurufen: „Es lebe Polen!“ (das Polen Pilsudskis); in der Illegalität und in den Gefängnissen bereiten sie ein neues Polen vor, das nicht das Polen Pilsudskis sein wird; natürlich, was können das anders sein als Agenten: der Geheimpolizei!

Die deutschen Trotzkisten werden von der Gestapo aufs Schärfste verfolgt. Vor kurzem erst wurden zwölf deutsche Trotzkisten in Gelsenkirchen zu insgesamt 50 Jahren Zuchthaus verurteilt. Weitere Verhaftungen und Verurteilungen sind in einer Reihe anderer Städte zu verzeichnen (6 in Magdeburg, ca. 20 in Berlin). Die stalinistische Presse aber wird nicht müde, die deutschen Trotzkisten als Gestapoagenten hinzustellen.

Dies „Argument“ ist nicht neu: Lenin und Liebknecht, Trotzki und Rosa Luxemburg haben es erdulden müssen. Ja auch Marx! Die französische bonapartistische Presse hetzte gegen ihn als einen Agenten Bismarcks. [1] Auch Danton, Robespierre, sogar Cromwell, wurden als bezahlte Agenten des Auslands hingestellt. Der bekannte französische Historiker schrieb: „Die Feinde begnügten sich nicht, Robespierre und seine Freunde zu töten: sie verleumdeten sie und stellten sie in den Augen Frankreichs hin als Royalisten, gekaufte Agenten des Auslands“. Ja die Tradition ist gar nicht so übel!

Man lese die deutschen faschistischen Blätter, man sehe sich an, mit welch wütendem Hass sie über Trotzki herziehen. Sie rieten es an, Trotzki an Stalin auszuliefern! Die deutschen Faschisten können Trotzki nicht nur seine historisch-revolutionäre Rolle überhaupt, sondern auch seine revolutionäre Politik in Deutschland nicht verzeihen. Sie wissen, dass gerade Trotzki es war, der in Deutschland die Einheitsfrontpolitik vertrat, die einzige, die den Faschismus zu besiegen vermocht hätte, während Stalin mit seiner Erklärung, Sozialdemokratie und Faschismus seien „Zwillinge“, und die Sozialdemokratie sei linker Faschismus, lediglich dem Faschismus half. Ohne Stalin kein Hitler, keine Gestapo! Stalin half Hitler, sich auf den Rücken der deutschen Arbeiterklasse zu schwingen. Und in diesem historischen, viel tieferem Sinne ist Stalin ein Agent der Gestapo, und all seine elenden Polizeimachinationen werden ihn von dieser furchtbaren Verantwortung nicht reinwaschen. Ja, wenn heute in Deutschland Faschismus und Gestapo regieren, so „verdanken sie das vor allem und hauptsächlich“ Stalin.


Anmerkung

1. Napoleon III. Polizei hat übrigens auch die Erste Internationale bezichtigt, ihre Finger bei einem Attentat auf den Kaiser mit im Spiel zu haben (Beaury-Affäre, Mai 1870). Wie sich doch alles wiederholt.




Zuletzt aktualisiert am 7.07.2009