Isaak Iljic Rubin

Alfred Amonn und das Objekt der Theoretischen Nationalökonomie

(1929)


Aus: Unter dem Banner des Marxismus, 3. Jg., H. 1, (1929), S. 128–149.
Transkription u. HTML-Markierung: J.L.W. für das Marxists’ Internet Archive.


Im Jahre 1927 erschien die zweite Auflage des bekannten Buches von Alfred Amonn: Objekt und Grundbegriffe der theoretischen Nationalökonomie. Der Verfasser bemerkt im Vorwort zur neuen Auflage, dass er vollkommen diejenigen theoretischen Anschauungen aufrechterhält, die er vor nunmehr fünfzehn Jahren zum ersten Male ausgesprochen hat.

„Ich konnte... keinen, weder kritischen noch positiven Anhaltspunkt finden, der mir zum Anlass geworden wäre, meine Anschauung im allgemeinen oder speziellen irgendwie zu ändern. Diese hat sich im Gegenteil fortschreitend gefestigt und vertieft.“ [1]

In der neuen Auflage seines Buches war Amonn genötigt, eine kurze Antikritik oder Antwort auf die Artikel seiner Kritiker (Sombart, Oppenheimer, Diehl) zu geben, die sich seinerzeit nach Erscheinen der ersten Auflage näher über die Amonnsche Arbeit geäußert hatten. Der Verfasser schließt diese Antikritik mit der Aufforderung, dass sich die Kritiker eingehender mit seinem Buche befassen möchten:

„So übergebe ich dieses Buch zum zweiten Male der Kritik, mit keinem anderen Wunsche, als dass sie scharf prüfe, was von diesen Argumenten haltbar ist und was verworfen werden muss“. [2] Dieser Wunsch Amonns ist durchaus begründet. Amonn genießt in der deutschen ökonomischen Literatur eine große Autorität. Wie man sich auch zu seinem Buche „Objekt und Grundbegriffe der theoretischen Nationalökonomie“ stellen mag – man muss anerkennen, dass es zu den besten Arbeiten in der deutschen Literatur gehört, die sich mit den methodologischen Fragen der theoretischen Nationalökonomie befassen. Jeder, der sich ernsthaft mit methodologischen Fragen beschäftigen will, muss zu dem Buche Amonns Stellung nehmen und die von ihm aufgeworfenen Fragen beantworten.

In dem vorliegenden Aufsatz setzen wir uns das Ziel, eine eingehende und detaillierte Analyse der methodologischen Grundanschauungen Amonns zu geben. Wir werden uns dabei auf eine Kritik seiner methodologischen Lehren beschränken und lassen seinen Versuch, eine positive Darlegung der politischen Ökonomie zu geben (siehe Grundzüge der Volkswohlstandslehre, Jena 1926), beiseite. Gerade auf dem Gebiete der Methodologie ist Amonn am originellsten, und gerade hier will er etwas Neues bringen. Wir wählten deshalb als Thema für den vorliegenden Aufsatz die methodologischen Grundanschauungen Amonns, und zwar seine Lehre vom Objekt der theoretischen Nationalökonomie.

*

Amonns System bedeutet im Vergleich zu den allgemein üblichen Lehren der bürgerlichen Ökonomen einen bedeutenden Schritt vorwärts. Diese erklären jede „wirtschaftliche Tätigkeit“, unabhängig von der sozialen Form der Wirtschaft, zum Objekt der theoretischen Nationalökonomie, wenn sie nur auf Vermehrung des Reichtums gerichtet ist; Amonn dagegen betont unermüdlich auf jeder Seite seines Buches – und scheut dabei vor zahlreichen Wiederholungen und Weitschweifigkeiten nicht zurück –, dass die theoretische Nationalökonomie nicht die wirtschaftliche Tätigkeit erforscht, soweit sie nur Beziehungen des Menschen zu Sachen unterstellt, sondern dass sie soziale Beziehungen eines bestimmten Typus untersucht. Die erste These Amonns ist: Alle Probleme der theoretischen Ökonomie, die sich um das Preisproblem gruppieren, unterstellen bestimmte soziale Beziehungen der Menschen untereinander (und zwar besonders Austauschbeziehungen). Die zweite These Amonns lautet: Ein bestimmter Typus der sozialen Beziehungen der Menschen setzt seinerseits eine bestimmte Gesellschaftsstruktur voraus, und zwar eine „soziale Organisation“, die durch vier Merkmale charakterisiert wird:

„1. Die Anerkennung einer in gewisser Hinsicht ausschließlichen individuellen Verfügungsmacht über äußere... Objekte; 2. die Anerkennung eines freien, d. h. ganz von dem individuellen Willen der sozialen Verkehrssubjekte abhängigen Wechsels dieser Verfügungsmacht zugleich mit der dauernden Bindung an die einmal getroffene Verfügung; 3. Freiheit der Bestimmung des quantitativen Verhältnisses der auszutauschenden Verkehrsobjekte ...; 4. die Anerkennung eines allgemeinen sozialen Wertmaßes und Tauschmittels“. [3]

Amonn führt diese Thesen im methodologischen Teil seines Buches mit der größten Folgerichtigkeit durch; er kann mit Recht als einer der besten und klarsten Vertreter der „sozialen Richtung“ in der gegenwärtigen bürgerlichen Nationalökonomie betrachtet werden.

Dabei unterscheidet sich Amonn vorteilhaft von anderen Anhängern der sozialen Richtung durch seinen streng theoretischen, wissenschaftlich-kausalen Standpunkt. Bei Stammler, Stolzmann und Petry [4] besteht die „soziale“ Untersuchung der ökonomischen Erscheinungen letzten Endes nur darin, dass diese unter einem besonderen „sozialen“, in der Tat aber teleologischem Gesichtspunkt untersucht werden, der mit der wissenschaftlich-kausalen Forschungsmethode nichts gemein hat. Auch Amonn verteidigt die Notwendigkeit der sozialen Methode, aber im Rahmen der rein theoretischen, kausalen Erforschung der Erscheinungen; er lehnt jeden Versuch, in die Wissenschaft teleologische Gesichtspunkte hereinzubringen, ab.

Diese positiven Seiten des Amonnschen Systems berechtigen uns zu dem Schluss, dass der Autor sich auf dem richtigen methodologischen Wege befand, der einen weiten wissenschaftlichen Horizont vor ihm zu eröffnen versprach. Wenn er trotzdem auf diesem Wege über die ersten Schritte nicht hinauskam, so trägt daran der Grundfehler seines Systems die Schuld, welcher auch die Auffassungen der anderen Anhänger der „sozialen Richtung“ charakterisiert: das schroffe Losreißen der sozialen Beziehungen der Menschen vom gesellschaftlichen materiellen Produktionsprozess. Amonn hat unbedingt recht, wenn er sagt, dass die theoretische Nationalökonomie den Wirtschafts- oder Produktionsprozess nicht unabhängig von seiner sozialen Form untersucht. Daraus folgt aber keineswegs der Schluss, den er zieht: die theoretische Nationalökonomie untersuche soziale, durch bestimmte formale Merkmale charakterisierte Beziehungen der Menschen, unabhängig davon, ob sie innerhalb der Sphäre des gesellschaftlichen Produktionsprozesses entstehen oder nicht. [5] In der Tat untersucht die theoretische Nationalökonomie eine bestimmte soziale Form der Wirtschaft; dabei darf man aber nicht vergessen, dass es sich um eine soziale Form der Wirtschaft handelt. Diese ist eng mit dem materiellen Inhalt des gesellschaftlichen Produktionsprozesses verbunden und wandelt sich mit dessen veränderten Bedingungen und Bedürfnissen. Wenn man die sozialen Beziehungen unabhängig von ihrer Verknüpfung mit dem Produktionsprozess zum Forschungsgegenstand der theoretischen Nationalökonomie macht, so bedeutet das: 1. man verwandelt die theoretische Nationalökonomie aus einer Wissenschaft von den ökonomischen Erscheinungen in eine Wissenschaft von den rein formalen Merkmalen der gesellschaftlichen Verbindung der Menschen untereinander; 2. aber versperrt man sich sogar den Weg zu dem richtigen Verständnis dafür, wie diese rein formalen Merkmale der menschlichen Gesellschaft entstanden sind und sich entwickelt haben. Mit anderen Worten: das heißt keine Ökonomie, sondern, eine rein formale und sogar in diesem Bereich unbefriedigende Soziologie geben.

Amonn rechnet sich den bezeichneten Mangel – die Beschränkung der Untersuchung auf die reine Form der sozialen Beziehungen also – als besonderes Verdienst an und behält ihn folgerichtig in seinem ganzen Buche bei. Wir wissen, dass nach Amonns Meinung bestimmte „soziale Beziehungen“, und zwar „individualistische Austauschbeziehungen“ den Gegenstand der theoretischen Nationalökonomie bilden, die ihrerseits die Existenz einer objektiv bestimmten „sozialen Ordnung“ voraussetzen. Alle Begriffe, die logisch aus dieser Setzung folgen, haben nach Amonn rein formalen Charakter. Die „sozialen Beziehungen“ betrachtet er als unabhängig vom Produktionsprozess. Die „soziale Ordnung“ besteht in der Anerkennung einer bestimmten Form menschlicher Beziehungen. Unter „Austauschbeziehungen“ schließlich wird nur eine bestimmte Form der gesellschaftlichen Beziehungen verstanden. Sehen wir zu, ob- es Amonn gelungen ist, den rein formalen Charakter dieser Begriffe darzutun und ob ihn nicht eine derartige Vorstellung in eine Reihe von Widersprüchen und Ausflüchten bringt.

Beginnen wir mit dem Begriff der „sozialen Beziehungen“. Die Behauptung Amonns, die theoretische Nationalökonomie untersuche „soziale Beziehungen“, erinnert auf den ersten Blick an die bekannte These der Marxisten, dass die theoretische Nationalökonomie sich mit den „gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen der Menschen“ befasst. Der ganze tiefgehende Unterschied aber zwischen dem Marxschen und dem Amonnschen System wird anschaulich offenbar, wenn man die beiden folgenden Schemata miteinander vergleicht.

Das Marxsche Schema Das Amonnsche Schema
Gesellschaftliche Verhältnisse der Menschen. Gesellschaftliche Beziehungen der Menschen.
Produktionsverhältnisse der Menschen.  
Ein bestimmter Typus der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse (Austausch zwischen Warenproduzenten). Ein bestimmter Typus der gesellschaftlichen Beziehungen (individualistische Austauschbeziehungen).

Marx sondert also unter den gesellschaftlichen Verhältnissen die besondere Gruppe der Wirtschafts- oder Produktionsverhältnisse aus, in die die Menschen im Verlauf der materiellen Produktion eintreten. Diese Produktionsverhältnisse organisieren unmittelbar den Produktionsprozess; sie konstituieren deshalb die soziale Form der Wirtschaft und zeichnen sich vor andersartigen gesellschaftlichen, z. B. politischen Verhältnissen aus. Weiter: Aus den Produktionsverhältnissen sondert Marx eine besondere Gruppe ab, und zwar die der Austauschverhältnisse zwischen Warenproduzenten (sowie die hieraus erwachsenden „Klassen“-verhältnisse zwischen Kapitalisten und Arbeitern, Kapitalisten und Grundeigentümern). Die Austauschverhältnisse zwischen Warenproduzenten charakterisieren die gegenwärtige kapitalistische Warenwirtschaft. Und gerade dieser Typus der Produktionsverhältnisse, der auf einer bestimmten Entwicklungsstufe der gesellschaftlichen Produktivkräfte entsteht, bildet das Objekt der theoretischen Nationalökonomie.

Amonns Schema hat ein anderes Aussehen. Er nimmt den allgemeinen Begriff der gesellschaftlichen Beziehungen zum Ausgangspunkt. Er verzichtet aber darauf, unter ihnen Produktionsbeziehungen auszusondern, die sich durch ihre unmittelbare Verbindung mit dem Produktionsprozess auszeichnen. Als Einteilungsgrund für die gesellschaftlichen Beziehungen nimmt er nicht materielle Merkmale (die Art ihrer Verbindung mit dem Produktionsprozess), sondern rein formale (die Form der gesellschaftlichen Beziehungen). Wenn die Menschen untereinander in gesellschaftliche Beziehungen treten, die durch die obengenannten formalen Merkmale charakterisiert werden, so haben wir die „individualistischen Austauschbeziehungen“ vor uns. Diese bilden das Erkenntnisobjekt der theoretischen Ökonomie. Zwischen dem Begriff der „gesellschaftlichen Beziehungen“ überhaupt und dem Begriff der „individualistischen Austauschbeziehungen“ gibt Amonn in seinem Schema keinerlei Verbindungsglieder. Wo sind dann aber diejenigen Produktionsbeziehungen einzureihen, die nicht unter den Begriff des Warenaustausches fallen, wie etwa die Produktionsverhältnisse der feudalen Gutswirtschaft?

Der Ökonom, der auf Durchführung der soziologischen Methode Anspruch erhebt, kann nicht ohne den Begriff der „gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse“ auskommen. Zwar muss seine Aufmerksamkeit mehr auf die Formverschiedenheit der verschiedenen Typen der Produktionsverhältnisse gerichtet sein als auf deren Übereinstimmung. Nicht das Gemeinsame bei feudalen und bei kapitalistischen Produktionsverhältnissen bildet das Erkenntnisobjekt der theoretischen Ökonomie, sondern gerade das, was beide voneinander unterscheidet. Wenn der Ökonom sich aber eine bestimmte Form der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse zum Erkenntnisobjekt setzt, so darf er nicht vergessen, dass es sich um Produktionsverhältnisse handelt. Wenn Amonn behauptet, dass die theoretische Ökonomie die sozialen Beziehungen der Menschen untersucht, die sich durch bestimmte formale Merkmale auszeichnen (d. h. die individualistischen Austauschbeziehungen) und nichts mit dem Produktionsprozess gemein haben, so ignoriert er ganz einfach den tatsächlichen Inhalt der modernen Wirtschaftswissenschaft. Wenn man nicht irgendeine phantastische Wissenschaft von den „reinen Formen“ der menschlichen Gemeinschaft im Auge hat, sondern den tatsächlichen Inhalt der ökonomischen Theorie (der Wert-, Geld-, Kapital-, Profittheorie usw.) – und Amonn selbst erkennt die Notwendigkeit an, vom Inhalt der theoretischen Ökonomie gerade unter dem Gesichtspunkt auszugehen, wie diese Wissenschaft sich im Laufe der historischen Entwicklung ausbildete –, so ist die Behauptung absurd, dass die ökonomischen Beziehungen der Menschen vom materiellen Produktionsprozess unabhängig seien. Amonn selbst fühlt das Paradoxe seiner Behauptungen und sieht sich deshalb wiederholt gezwungen, das Vorhandensein einer „empirischen“ Verknüpfung zwischen den sozialen Beziehungen der Menschen und dem Produktionsprozess anzunehmen. [6] Die uns interessierenden sozialen Beziehungen der Menschen gelangen gerade in der Sphäre der materiellen Produktion „empirisch zur Erscheinung“. [7] Oft sagt Amonn, dass die sozialen Beziehungen der Menschen (der Austausch z. B.) „unter gewissen Bedingungen“ mit dem Produktionsprozess verbunden sind. [8] An einer anderen Stelle bekräftigt er, dass die uns interessierende „bestimmte Form der sozialen Erscheinungen ... wohl hauptsächlich an ‚wirtschaftlichen’. Tatsachen sichtbar wird“. [9] An einer dritten Stelle meint er, diese soziale Form sei „zufällig vorzugsweise“ [10] mit der Produktionstätigkeit verknüpft. Daher trifft man die von der theoretischen Ökonomie untersuchten sozialen Beziehungen der Menschen (der Warenbesitzer, der Kapitalisten, der Arbeiter usw.) „vorzugsweise“ im Gebiete der Produktion an. Kann man aber in diesem Falle Amonn zugeben, dass das nur ein Zufall ist, dass also keine notwendige Verknüpfung zwischen einem gegebenen Zustand der Produktivkräfte und einer gegebenen Form der sozialen Beziehungen besteht? Er erkennt offenbar nicht, in welchem Maße die Berufung auf den „Zufall“ den theoretischen Bankrott seiner rein formalen Konstruktion bedeutet.

Zur Rechtfertigung Amonns muss man sagen, dass es allerdings unmöglich ist, sich nach der folgenden paradoxen Behauptung etwas anderes als den Appell an den Zufall vorzustellen:

„Erst die Beziehungen zwischen Produzenten, Händlern und Konsumenten, zwischen den Produzenten-Unternehmern und den Arbeitern, zwischen dem Unternehmer und den Kapitalisten sind jene Phänomene, an die sich nationalökonomische Probleme knüpfen. Aber diese Phänomene sind nicht nur nicht mit ‚wirtschaftlicher Produktionstätigkeit’ verknüpft, sondern sogar gänzlich davon unabhängig und selbständig. Sie treten auch da auf, wo von ‚wirtschaftlicher Produktionstätigkeit’ gar keine Rede mehr sein kann. Es kann ‚wirtschaftliche Produktion’ geben, ohne dass es jene sozialen Beziehungen gibt, aber umgekehrt sind auch jene sozialen Beziehungen denkbar, ohne dass es Produktion überhaupt gibt [11], ganz abgesehen und unabhängig von irgendwelcher Produktionstätigkeit.“ [12]

So ergibt sich, dass die sozialen Beziehungen zwischen Unternehmern und Arbeitern vollkommen unabhängig vom Produktionsprozess existieren. Wenn aber doch gewöhnlich („vorzugsweise“) zwischen ihnen eine Verknüpfung zu beobachten ist, so erklärt sich das als reiner „Zufall“. Diese Behauptung ist so paradox, dass sie keine Kritik erfordert.

Aber, fragt der Leser, wie kann unser scharfsinniger Autor den Gedanken verteidigen, dass die von der theoretischen Ökonomie untersuchten sozialen Beziehungen (z. B. zwischen Unternehmern und Arbeitern) nicht mit dem Produktionsprozess verbunden sind? Um Amonn gegenüber nicht ungerecht zu sein, muss man sich folgender beider Umstände erinnern: 1. Unter Wirtschaft oder Produktion versteht Amonn nur die materielle Sachgüterproduktion; 2. er verneint die rein logische Verknüpfung der sozialen Beziehungen mit der Produktionssphäre, nimmt aber eine „zufällige“ empirische Verknüpfung zwischen beiden an. Untersuchen wir, ob nach diesen beiden Einschränkungen seine Behauptung sich als richtiger erweist.

Amonn geht lang und breit auf den Streit der Ökonomen darüber ein. Ob man die Sphäre der „Wirtschaft“ auf Produktion und Austausch materieller Sachen beschränken soll, oder ob z. B. auch der Austausch von persönlichen Diensten, Aktien, Rechten und ähnlichen nichtmateriellen Objekten einzuschließen ist. Mit Recht meint er, dass die theoretische Ökonomie bestimmte soziale Beziehungen der Menschen untersucht, auch wenn sie nicht in der unmittelbaren Produktions- und Austauschsphäre von materiellen Sachen erscheinen. Gewöhnlich beweist ja Amonn seine paradoxen Gedanken über die Unabhängigkeit der sozialen Beziehungen der Menschen vom Produktionsprozess mit dem Hinweis darauf, dass ein bestimmter Typus der sozialen Beziehungen existieren kann (Austausch z. B.), beispielsweise in den Fällen des Austauschs immaterieller Objekte (wenngleich in der Sphäre der materiellen Produktion, z. B. Kauf der Arbeitskraft durch den Unternehmer!) oder sogar in der Sphäre der immateriellen Produktion (z. B. ein Lehrer, der seine Arbeitsleistung einem Unternehmer verkauft [13]). Was beweisen aber diese Beispiele? Doch nur, dass die Produktion nicht im engen Sinne der unmittelbaren Sachgüterproduktion zu betrachten ist, sondern im weiteren Sinne der Produktion von Gebrauchswerten überhaupt. Der Ökonom darf folgendes nicht vergessen; 1. die von ihm untersuchten Produktionsverhältnisse (z. B. Austauschverhältnisse) entstanden in der Sphäre der materiellen Produktion und haben dort das Hauptfeld ihrer Tätigkeit; 2. von hier aus breiteten sie sich nach und nach auch in die Sphäre der immateriellen Produktion aus. Wenn auch in der Sphäre der immateriellen Produktion „die kapitalistische Produktion nur in sehr beschränktem Maße anwendbar ist“ [14], so fallen doch nichtsdestoweniger die in dieser Sphäre sich herausbildenden Verhältnisse von kapitalistischem Typus (z. B. die Verhältnisse zwischen Kapitalisten und Arbeitern in das Gebiet der theoretischen Ökonomie. Hieraus folgt nun aber keineswegs, dass diese auch diejenigen sozialen Beziehungen untersucht, die außerhalb der Produktionssphäre liegen. Hieraus folgt vielmehr nur, dass die „Produktionsverhältnisse“ in einem weiten Sinn zu verstehen sind: sie umfassen die sozialen Verhältnisse eines bestimmten Typus, die sich in der Sphäre der materiellen Produktion herausbilden (auch wenn es sich nicht unmittelbar um materielle Sachen handelt); von hier aus breiten sie sich dann teilweise in die Sphäre der immateriellen Produktion aus. Amonn aber erweitert den Begriff der „Produktion“ nicht, gebraucht ihn im Sinne der unmittelbaren Sachgüterproduktion und gelangt von hier aus dann unvermeidlich zu dem Schluss, dass die theoretische Ökonomie soziale Beziehungen mit bestimmten formalen Merkmalen untersucht, ganz unabhängig davon, ob sie überhaupt mit dem Produktionsprozess (hier im engen Sinne) verbunden sind oder nicht. [15]

Daher kann der Gedanke Amonns über den rein formalen, ‚Außerproduktionsmäßigen“ Charakter der von der theoretischen Ökonomie untersuchten sozialen Beziehungen nicht mit Hinweis darauf gerechtfertigt werden, dass ähnliche soziale Beziehungen auch außerhalb der Sphäre der unmittelbaren Sachgüterproduktion zu beobachten sind. Dieser Gedankengang ist auch nicht durch den beständigen Hinweis Amonns darauf beweisbar, dass ein „innerer“, „logischer“ Zusammenhang zwischen einem bestimmten Typus der sozialen Beziehungen und dem Produktionsprozess fehle. Was bedeutet dieser Hinweis? Nur eines: wenn wir soziale Beziehungen eines bestimmten Typus von ihrer rein formalen Seite her betrachten, schließen wir in den Begriff keinerlei Merkmale ein, die auf seine Verknüpfung mit dem Produktionsprozess hinweisen. Es ist ohne weiteres selbstverständlich, dass ein Begriff der sozialen Beziehungen, die vom Produktionsprozess unabhängig sind, „logisch“ nicht mit dem Begriff der Produktion verbunden ist. Aber die Frage besteht ja gerade darin: Verfährt unsere Wissenschaft richtig, wenn sie eine „logische“ Verknüpfung zwischen dem Begriff bestimmter sozialer Beziehungen und dem Begriff der Produktion nicht feststellt? Nehmen wir z. B. die sozialen Beziehungen zwischen Kapitalist und Arbeiter, die im Austausch der Arbeitskraft gegen Geld ihren Ausdruck finden. Ist dieses gesellschaftliche Verhältnis „logisch“ mit dem Produktionsprozess verbunden? Rein logisch, besser, rein formal betrachtet, ist diese gesellschaftliche Beziehung nicht unbedingt an den Produktionsprozess gebunden. Man kann sich vorstellen, dass der Kapitalist, nachdem er die Arbeitskraft angekauft hat, den Arbeiter nicht in die Fabrik zur Arbeit schickt, sondern sich mit ihm zusammen auf einen Spaziergang begibt, die Zeit in freundschaftlicher Unterhaltung verbringt. In diesem Falle gibt es keinerlei Produktionsprozess, und trotzdem könnte Amonn vom rein formalen Gesichtspunkt aus das Vorhandensein sozialer Beziehungen zwischen Kapitalisten (Personen, die das Verfügungsrecht über Arbeitskraft kaufen) und Arbeitern (Personen, die Arbeitskraft verkaufen) annehmen. Werden denn dergleichen rein formale „soziale Beziehungen“ von der theoretischen Ökonomie untersucht? Ja, antwortet Amonn; denn wir haben ein soziales Verhältnis vor uns, das bestimmte formale Merkmale aufweist. Nein, antworten wir, denn in diesem Falle fehlen die „Produktionsverhältnisse“. Gehört denn das beschriebene soziale Verhältnis zu der Klasse derjenigen sozialen Beziehungen, die von der theoretischen Ökonomie untersucht werden? Ja, antwortet Amonn; denn es besitzt jene formalen Merkmale; das Vorhandensein des Produktionsprozesses bringt nur „unbedeutende Modifikationen“ in unseren formalen Begriff, ohne sein Wesen zu verändern. Nein, antworten wir; denn die Zugehörigkeit zur Produktionssphäre bildet ein unerlässliches Merkmal für die von der theoretischen Ökonomie untersuchten sozialen Beziehungen. Die oben beschriebene phantastische Beziehung zwischen Kapitalist und Arbeiter ist bei all ihrer formalen Ähnlichkeit mit den Produktionsverhältnissen von kapitalistischem Typus ihrem Wesen nach doch weitgehend von diesen verschieden.

Der schroffe Unterschied, den Amonn zwischen dem logischen Zusammenhang der Begriffe und dem empirischen Zusammenhang der Erscheinungen einführt, entspringt seiner Neigung zu einer formal-logischen Problemstellung. Amonn missbraucht den Gegensatz zwischen „logischer“ und „genetischer“ Analyse, zwischen der Problemstellung und der Problemerklärung. [16] Die Verknüpfung der sozialen Beziehungen mit dem Produktionsprozess kann seiner Meinung nach wohl bei der „Problemerklärung“, nicht aber bei der „Problemstellung“ berücksichtigt werden. Gerade, als Ob Amonn vergessen hätte, dass eine bestimmte Problemstellung zu einer bestimmten Lösung des Problems führt und umgekehrt diese jene voraussetzt! Vom formallogischen Gesichtspunkt aus ist der Forscher bei der Problemstellung natürlich berechtigt, logische Begriffe auf beliebig von ihm ausgewählten Merkmalen aufzubauen. Beispielsweise bleibt es ihm unbenommen, einen formal-logischen Begriff der sozialen Beziehung zwischen Kapitalist und Arbeiter aufzubauen, der auch den weiter oben beschriebenen phantastischen Fall umfasst. Aber hier besteht ja die Frage gerade darin, ob eine solche „Stellung“ des Problems zu seiner „Erklärung“ führt; also: können wir auf Grund eines bestimmten Begriffs der sozialen Beziehung (d. h. von einem bestimmten Erkenntnisobjekt ausgehend) eine wissenschaftliche Theorie aufstellen, d. h. sind wir imstande, eine Reihe untereinander verbundener Thesen zu formulieren, die sich gleicherweise auf die Produktionsverhältnisse zwischen Kapitalisten und Arbeitern beziehen, wie auch auf den erwähnten phantastischen Fall, wo Verhältnisse außerhalb der Produktion zwischen ihnen vorliegen? Müssen wir nicht zugeben, dass die ökonomische Arbeitslohn-, Mehrwert- und Profittheorie usw. nur im ersten Falle anwendbar ist und sich nicht unmittelbar auf den zweiten bezieht? Das ist aber dem Eingeständnis gleichbedeutend, dass das Erkenntnisobjekt der theoretischen Ökonomie die „Produktionsverhältnisse“ der Menschen sind, und nicht soziale Beziehungen überhaupt, unabhängig von ihrer Verbindung mit dem Produktionsprozess.

Die Unhaltbarkeit der Amonnschen Anschauung zeigt sich besonders eindringlich beim Übergang von der formal-logischen Fragestellung zur „genetischen“ Untersuchung. Geben wir Amonn einmal einen Augenblick zu, dass die theoretische Ökonomie bestimmte soziale Beziehungen unabhängig von ihrer Verbindung mit dem Produktionsprozess untersucht. Dann erhebt sich doch aber sofort die Frage: Auf welche Art und Weise entsteht denn eine bestimmte Form der gesellschaftlichen Beziehungen und wie entwickelt sie sich? Auf diese Frage gibt es bei Amonn nur eine Antwort: eine bestimmte Form der sozialen Beziehungen ist das Resultat einer bestimmten „sozialen Organisation der Gesellschaft“. [17] Aber diese Antwort führt doch sogleich zu der neuen Frage: wie entsteht und entwickelt sich denn eine bestimmte Form der sozialen Organisation der Gesellschaft? Auf diese Frage kann Amonn keinerlei Antwort geben, da er die soziale Organisation der Gesellschaft von der gleichen formal-logischen Seite aus betrachtet wie die sozialen Beziehungen. Verweilen wir einmal kurz bei dieser „sozialen Organisation“ der Gesellschaft.

Unter „sozialer Organisation“ der Gesellschaft (soweit sie als logische Voraussetzung dient für die von der theoretischen Ökonomie untersuchten sozialen Beziehungen) versteht Amonn die „gesellschaftliche Anerkennung“ der vier oben genannten formalen Merkmale der sozialen Austauschbeziehungen (die ausschließliche Verfügungsmacht des Individuums über äußere Objekte, die Anerkennung der freien Übertragbarkeit dieser Verfügungsmacht und der freien Bestimmung der Austauschproportionen, die Anerkennung eines allgemeinen Wertmaßes). Meint denn Amonn damit die soziale Organisation des Produktionsprozesses? Nein, er spricht nur von der formalen gesellschaftlichen Anerkennung eines bestimmten Typus sozialer Beziehungen (individualistische Austauschbeziehungen z. B. oder die Beziehungen zwischen Kapitalisten und Arbeitern), außerhalb jeder Abhängigkeit vom Gang und den Bedürfnissen des Produktionsprozesses. Wie kommt aber eine solche „gesellschaftliche Anerkennung“ bestimmter gesellschaftlicher Beziehungen zustande? Bei Stolzmann [18] entsteht die „soziale Regulierung“ (d. h. die soziale Form der Wirtschaft) auch unabhängig von den Bedürfnissen des materiellen Produktionsprozesses und wird von außen in diesen hereingebracht. Aber Stolzmann sagt wenigstens, woher sie kommt: die „soziale Regelung“ entsteht durch den freien Willen der Menschen, der auf die Verwirklichung ethischer Ziele gerichtet ist. Die schroffe Trennung der sozialen Form der Wirtschaft von ihrer Materie verwandelt sich bei Stolzmann in den Gegensatz Teleologie – Kausalität. Augenscheinlich ist Amonn nicht geneigt, solch einen tiefgehenden und unversöhnlichen Dualismus des gesellschaftlichen Prozesses anzuerkennen, weil er im Rahmen der kausal-theoretischen Forschung bleiben will. Wie aber entsteht dann eine bestimmte Form der „sozialen Organisation“ der Gesellschaft?

In dieser Hinsicht bewahrt Amonn vollständiges Stillschwelgen. Er gibt uns nur dürftig Aufschluss darüber, wie diese soziale Organisation nicht entsteht, und zwar, dass sie nicht kraft Gesetzes- oder Rechtsbefehl entsteht. Man darf soziale Organisation nicht mit rechtlicher Organisation vermengen, die „gesellschaftliche Anerkennung“ nicht mit gesetzlicher. Die Voraussetzung bestimmter sozialer Beziehungen bildet eine bestimmte „tatsächliche soziale Ordnung“ [19], die manchmal sogar der gesetzlich bestimmten Rechtsordnung widerspricht und im Kampfe mit ihr sich als die stärkere erweist. Die „gesellschaftliche Anerkennung“ eines bestimmten Typus sozialer Beziehungen kann „rein konventionell“ sein, nicht durch ein Gesetz verstärkt [20], sondern ausschließlich auf die „Kraft sozialer Anschauungen“ [21] gegründet. Einmal bemerkt Amonn, dass die Formen der sozialen Beziehungen „die Rechtsordnung keineswegs erst geschaffen oder künstlich konstruiert (hat), sie haben sich vielmehr aus den Bedürfnissen des sozialen Verkehrslebens heraus selbst organisch entwickelt“. [22]

Wenn Amonn sich nicht auf diese allgemeinen Formulierungen beschränkt, sondern ernsthaft die Frage gestellt hätte, wie denn durch die „Bedürfnisse des Verkehrslebens“ eine bestimmte Form der sozialen Organisation der Gesellschaft entsteht, mit ihr entsprechenden sozialen Beziehungen, so hätte er sich vergewissern können, dass es sich um die Bedürfnisse des materiellen Produktionsprozesses handelt. Das Wachsen dieser Bedürfnisse ruft eine Veränderung in der „sozialen Organisation der Gesellschaft“ hervor. Die „soziale Organisation der Gesellschaft“ dagegen, wie sie von Amonn außerhalb jeder Verbindung mit dem gesellschaftlichen Produktionsprozess betrachtet wird, verwandelt sich in eine leere, ihres Inhalts beraubte Form. Diese „soziale Organisation“ der Gesellschaft aber wird von Amonn nur als bestimmte, formal-logische Voraussetzung der ökonomischen Erscheinungen angesehen; dabei vergisst er jedoch, dass sie gleichzeitig das Ergebnis einer bestimmten Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte ist. Der dialektische Prozess der Verbindung und Wechselwirkung zwischen dem gesellschaftlichen Produktionsprozess und dessen sozialer Form bleibt Amonn unbekannt, der Prozess also, in dem bestimmte Formen der Produktionsverhältnisse gleichzeitig das Ergebnis der vorausgegangenen Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte sind wie auch die Voraussetzung für deren weitere Entwicklung darstellen. Obwohl Amonn auf jeder Seite seines Buches betont, dass er die sozialen Beziehungen und die soziale Organisation der Gesellschaft zum Erkenntnisobjekt seiner Untersuchungen nimmt, kann er uns infolge seiner rein formalen Methode nichts über die Ursprungs- und Entwicklungsgesetze dieser sozialen Organisation sagen.

Wie wir sehen, versperrt die formale Fragestellung Amonn den Weg zur wirklichen Untersuchung der „sozialen Beziehungen“ und der ihnen zugrunde liegenden „sozialen Organisation“ der Gesellschaft. Noch schroffer zeigt sich diese Unfruchtbarkeit der rein formalen Methode, wenn wir zur Analyse derjenigen konkreten sozialen Beziehungen übergehen, die Amonn als Objekt der theoretischen Ökonomie ansieht: nämlich zu den „individua1istischen Austauschbeziehungen“. Wie entstanden und entwickelten sich die Austauschbeziehungen, diese spezifische Form sozialer Beziehungen? Sind sie denn nicht die Folge einer bestimmten Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte? Ist nicht der Warenaustausch eine bestimmte soziale Form des Produktivprozesses? Nein, erwidert Amonn; denn wir untersuchen die Austauschbeziehungen nach ihrer rein formalen Seite, ganz abgesehen von jeder Verbindung mit dem Produktionsprozess. Wenn Amonn die Tatsache der Auflösung der mittelalterlichen Naturalwirtschaft und die Herausbildung der Tauschbeziehungen erklären soll, findet er allerdings nichts Besseres, als sich auf eine Reihe von Veränderungen zu berufen, die im gesellschaftlichen Produktionsprozess vor sich gegangen sind („Verbesserung der Produktion durch Arbeitsteilung, Differenzierung der Produkte und Bedürfnisse, Steigerung der Produktivität, Erlangung von Produktionsüberschüssen“ [23] usw.). Offenbar aber hält er diese historische Verknüpfung der Entwicklung der Produktivkräfte und der Herausbildung sozialer Austauschbeziehungen nur für eine „zufällige“, „empirische“ Verknüpfung; denn vom theoretischen Standpunkt aus untersucht Amonn die Austauschbeziehungen außerhalb jeglicher Verbindung mit dem Produktionsprozess.

Daher sind die „individualistischen Austauschbeziehungen“ nur von ihrer formalen Seite her betrachtet das Erkenntnisobjekt unserer Untersuchungen. Die Frage, wie diese Austauschbeziehungen entstanden und sich entwickelten, liegt außerhalb des Feldes der Untersuchung. Amonn interessiert nicht die Verknüpfung dieser Austauschbeziehungen mit dem gesellschaftlichen Produktionsprozess. Was hat denn dann an den „individualistischen Austauschbeziehungen“ für uns Interesse? Nur ihre formalen Merkmale. Uns ist es vollkommen gleichgültig. Ob es sich um Austausch von Arbeitsprodukten oder von Arbeitskraft handelt, um Waren- oder Sklavenkauf. Wenn dieser Austausch sich nur in der Form des „individualistischen“ Austausches vollzieht (der sich durch die oben angeführten vier Merkmale auszeichnet), so bildet er das Objekt unserer Untersuchung, ganz unabhängig von den materiellen Eigenschaften der ausgetauschten Objekte (Sachen, Arbeitskraft, Sklaven, Rechte usw.). „Was hier allgemein gekauft und verkauft, geliehen, gepachtet, gemietet usw. wird, ist Objekt individualistischer Verkehrsbeziehungen.“ [24] Der Begriff des Austauschobjektes hat also rein formalen Charakter und kann beliebige empirische Objekte umfassen. In diesem rein formalen Charakter des Begriffs sieht Amonn sogar seinen besonderen Vorzug. [25] Entsprechend der konkreten sozialen Struktur der Gesellschaft wird der Kreis der Austauschobjekte bald erweitert, bald verengt (wird z.B. der Kauf der menschlichen Persönlichkeit untersagt, beginnt man die Arbeitskraft zu kaufen usw.); das hat aber keine Bedeutung für die theoretische Untersuchung der „individualistischen Austauschbeziehungen“, die in allen diesen Fällen ihre unveränderte soziale oder rein formale Natur behalten. [26]

Jetzt ist uns der große Unterschied klar, der zwischen dem Begriff der individualistischen Austauschbeziehungen“ Amonns und dem Begriff des „Warenaustausches“ bei Marx besteht. Auf den ersten Blick könnte es scheinen, dass beide die für die Warenwirtschaft charakteristischen gesellschaftlichen Austauschbeziehungen zum Objekt der Untersuchung machen. Aber Marx betrachtet die Austauschbeziehungen als besondere soziale Form der Wirtschaft oder des Produktionsprozesses. Da Marx die sozialen Verhältnisse im Produktionsprozess untersucht, ist es klar, dass er den Austausch von Arbeitsprodukten vom Verkauf der Arbeitskraft trennt. Die erste Gruppe untersucht er in der Werttheorie, die zweite in der Kapital- und Mehrwerttheorie. Bei aller rein formalen Ähnlichkeit der Fälle beider Art (da sowohl die Arbeitskraft wie auch ein Arbeitsprodukt gekauft und verkauft wird, einen bestimmten, bald steigenden, bald fallenden Preis hat), unterscheiden sie sich doch wesentlich voneinander durch die verschiedene soziale Stellung der am Austausch Beteiligten im gesellschaftlichen Produktionsprozess. Der Austausch von Arbeitsprodukten setzt voraus, dass die Austauschenden selbständige Warenproduzenten sind, die alle für die Herstellung von Arbeitsprodukten nötigen Produktionsmittel zu Eigentum haben. Verkauf von Arbeitskraft dagegen setzt voraus, dass deren Verkäufer kein Eigentum an den Produktionsmitteln hat und deshalb der Möglichkeit beraubt ist, als Verkäufer von Arbeitsprodukten aufzutreten. Bei aller rein formalen Ähnlichkeit der beiden Formen der gesellschaftlichen Auslauschbeziehungen verbergen sich darunter doch ganz verschiedene Produktionsverhältnisse der Menschen untereinander. Mit anderen Worten: die als formal unabhängigen Verkäufer und Käufer (selbständige Handwerker, Lohnarbeiter, Kapitalisten) formal eine gleichartige Stellung im Austauschprozess einnehmenden Personen haben im gesellschaftlichen Produktionsprozess eine ganz verschiedenartige Stellung inne. Der Unterschied dieser ihrer sozialen Stellung drückt sich auch im Austauschobjekt aus, das in dem einen Falle ein Arbeitsprodukt, im anderen Falle Arbeitskraft ist. Verkauf von Arbeitskraft und Verkauf von Arbeitsprodukten miteinander vermengen, heißt ganz verschiedene Typen der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse wegen ihrer formalen Ähnlichkeit verwischen.

Während Marx in seiner Werttheorie den Austausch von Arbeitsprodukten zum Objekt der Untersuchung macht, dehnt Amonn gleich zu Anfang seinen Begriff der „individualistischen Austauschbeziehungen“ auf jede Art der Austauschbeziehungen aus, ganz gleichgültig, ob es sich dabei um Arbeitsprodukte, Boden, Arbeitskraft, Übertragung von Rechten usw. handelt. Amonn wendet sich dagegen, die Arbeitsprodukte aus dem Kreis aller Austauschobjekte auszusondern:

„Nicht die natürliche individuale Tatsache, dass die Erlangung eines Dinges Arbeit kostet, macht es zu einem Gegenstand spezifisch nationalökonomischer Betrachtung, sondern die davon ganz unabhängige soziale Tatsache, dass es in einem ganz bestimmten Zusammenhang bestimmt gearteter Verkehrsbeziehungen verflochten ist.“ [27]

Amonns Einwand trifft am Ziel vorbei. Es ist selbstverständlich, dass die eine Tatsache des Aufwandes von Arbeit für die Produktion von Dingen diesen noch nicht den Charakter des „Wertes“ verleiht; dazu ist noch eine bestimmte soziale Organisation der gesellschaftlichen Arbeit nötig, die zwischen unabhängigen privaten Warenproduzenten geteilt sein muss. Aber bei einer bestimmten sozialen Organisation der Arbeit (d. h. in der Warengesellschaft) werden die Produktionsverhältnisse zwischen den Warenproduzenten und die gegenseitige Verknüpfung ihrer produktiven Tätigkeiten nur vermittels des Austausches ihrer Arbeitsprodukte als Werte durchgesetzt. Wollen wir also den Mechanismus des gesellschaftlichen Arbeitsprozesses unter den Bedingungen der Warenwirtschaft aufdecken, so müssen wir: 1. von allen anderen Fällen den Austausch der Arbeitsprodukte loslösen; 2. die soziale Form dieses Austausches analysieren, die Produktionsverhältnisse zwischen unabhängigen Warenproduzenten voraussetzt; 3. die materielle Verbindung des Austauschprozesses mit dem Prozess der gesellschaftlichen Arbeitsteilung zwischen den verschiedenen Produktionszweigen und den unabhängigen Warenproduzenten untersuchen.

Amonn aber zerreißt den Zusammenhang zwischen den sozialen Verhältnissen und dem gesellschaftlichen Produktionsprozess; er ist daher weit davon entfernt, die „individualistischen Austauschbeziehungen“ als soziale Form aufzufassen, in der auf einer bestimmten Entwicklungsstufe der gesellschaftliche Produktionsprozess vor sich geht. Ihn interessiert nur die soziale Form der Tauschakte, die „vollkommen unabhängig“ vom Produktionsprozess betrachtet werden. Die Tatsache des Aufwandes und der Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit im Produktionsprozess verliert bei einer solchen Fragestellung für Amonn jegliches Interesse. Der letzte der oben erwähnten drei Punkte fällt ganz aus dem Feld seiner Untersuchung heraus. Seine Aufmerksamkeit ist nur auf den zweiten Punkt konzentriert, der die sozialen Formen des Austausches zwischen den am Austausch teilnehmenden Personen betrifft; dabei betrachtet er aber diese Verhältnisse nicht als Produktionsverhältnisse, sondern von ihrer rein formalen Seite her. Es ist vollkommen verständlich, dass Amonn von diesem Standpunkt aus den Austausch von Arbeitsprodukten in eine Reihe mit dem Austausch von Arbeitskraft, Boden usw. stellt, wenn nur alle diese Tauschfälle den erwähnten vier formalen Merkzeichen genügen. Amonn aber beschränkt sich nicht damit, sondern geht sogar noch viel weiter. Von seinem Standpunkt aus muss man folgerichtig unter den Begriff der „individualistischen Austauschbeziehungen“ auch den in der antiken Wirtschaft verbreiteten Sklavenhandel einbeziehen. [28] Die Sklaven wurden auf dem Markt ge- und verkauft und in Geld bezahlt – folglich unterscheiden sich diese Akte des Sklavenverkaufs nach ihrer formalen Seite nicht von denen des Verkaufs von Arbeitsprodukten. Nach einer Anmerkung Amonns zu urteilen, kann man sogar denken, dass der zu Zeiten der Wahlkampagne sehr häufig gehandhabte Kauf von Wählerstimmen auch unter den Begriff der individualistischen Austauschbeziehungen zu bringen ist. [29]

Daher gibt es vom formal-sozialen Standpunkt zwischen dem Kauf von Arbeitsprodukten, von Arbeitskraft, von Sklaven und Wählerstimmen keinen Unterschied. Die Verschiedenheit der Austauschobjekte in allen diesen Fällen hat keine wesentliche Bedeutung und ruft nur „unbedeutende Modifikationen“ im Austauschakt hervor. In all den von uns aufgezählten Fällen ergab sich eine einheitliche formal-soziale Beziehung zwischen Verkäufern und Käufern; das berechtigt uns, das Vorhandensein von individualistischen Austauschbeziehungen festzustellen, die von der theoretischen Ökonomie untersucht werden. Amonn bemerkt nicht, dass sich in unserem Beispiel unter der Verschiedenheit der Austauschobjekte die Verschiedenheit der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse verbirgt. Wenn man alle diese Austauschfälle miteinander vermengt, heißt das, wegen der Gleichartigkeit der formal-sozialen Verhältnisse der Menschen nicht den erheblichen Unterschied ihrer gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse beachten.

Wie wir sehen, hat sich die formale Fragestellung an Amonn bitter gerächt. Sie führte ihn zu den abgeschmackten Schlüssen, die seinen eigenen methodologischen Voraussetzungen widersprechen. Hier bestand Amonn selbst, wie wir sahen, darauf, dass bei der Objektbestimmung der theoretischen Ökonomie diejenigen Probleme zum Ausgangspunkt zu nehmen sind, die tatsächlich von dieser Wissenschaft untersucht werden, insbesondere das Preisproblem. Das heißt also, der Begriff der „individualistischen Austauschbeziehungen“ muss mit demjenigen Begriff des Tausches zusammenfallen, von dem die gegenwärtige theoretische Ökonomie ausgeht. Der von Amonn aufgestellte Tauschbegriff aber geht schroff mit diesem auseinander. Es lohnt sich nicht, nachzuweisen, dass das Preisproblem, so wie es in der gegenwärtigen theoretischen Ökonomie figuriert, auch nicht die geringste Beziehung zum Kauf von Sklaven oder Wählerstimmen hat. Obwohl sich die Ökonomen darüber oft keine klare Rechenschaft geben und daher zahlreichen Fehlern Tür und Tor öffnen, setzt dieses Preisproblem einen bestimmten Typus von Produktionsverhältnissen, und zwar solche zwischen unabhängigen Warenproduzenten voraus. Die eine andere Produktionsweise charakterisierenden Produktionsverhältnisse (z. B. der Sklavenhandel) können nicht zum Ausgangspunkt der Wert- oder Preistheorie genommen werden, auch wenn sie sich nach rein formalen Merkmalen nicht von den Produktionsverhältnissen der Warenwirtschaft unterscheiden sollten.

Die rein formale Fragestellung machte Amonns Untersuchung unfruchtbar. Solange es sich um die allgemeinsten methodologischen Fragen handelt, bleibt dieser Fehler des Amonnschen Systems noch verborgen. Sowie aber der Autor zur näheren Bestimmung seines Erkenntnisobjektes übergeht (die „individualistischen Austauschbeziehungen“) und zur Analyse der daraus hervorgehenden „Grundbegriffe“ unserer Wissenschaft kommt (Tauschsubjekt, Tauschobjekt, Wert und Preis, allgemeiner Wertmesser), zeigt sich dieser Fehler in seiner ganzen Stärke. Am Beispiel eines dieser Grundbegriffe (Austauschobjekt) haben wir schon gesehen, zu welch abgeschmackten Ergebnissen die rein formale Methode führt. Die Ausführungen Amonns über die anderen Grundbegriffe (Wert und Wertmesser) zeichnen sich durch einen ebenso formalen Charakter aus. Der Versuch Amonns, in der Wert- und Geldtheorie einen eigenen soziologischen Weg einzuschlagen, blieb so auch nur ein Versuch und erfuhr keine weitere Entwicklung. Danach, wie Amonn in seiner umfangreichen Arbeit seine methodologischen Anschauungen darlegte, in denen ein richtiger soziologischer Kern war, der aber durch die rein formale Einstellung zum Problem unfruchtbar gemacht wurde – hätte man erwarten können, dass er in der Darlegung der Wert-, Geld- und Kapitaltheorie nach der sozialen Methode fortfährt. Diese Erwartungen wurden jedoch nicht gerechtfertigt. Mit der formal-sozialen Methode ausgerüstet, blieb Amonn auf halbem Wege von der österreichischen Schule zur tatsächlich soziologischen Methode stecken.

Man kann denn auch die Befürchtung aussprechen, dass die neuen Arbeiten Amonns, Ricardo als Begründer der theoretischen Nationalökonomie (1924) und Grundzüge der Volkswohlstandslehre (1926) sich als ein Schritt nach rückwärts darstellen, von der sozialen Methode zurück zu den traditionellen naturalistischpsychologischen Theorien der bürgerlichen Ökonomen. Wir haben hier nicht die Möglichkeit, in eine nähere Besprechung dieser beiden Bücher einzugehen und beschränken uns auf einige Beispiele aus seinem Buche über Ricardo.

Ein großer Teil dieses Buches ist der Ricardo-Kritik gewidmet, besonders der Wert- und Rententheorie. Das allgemeine Ergebnis Amonns ist, dass die Arbeitswerttheorie in all ihren Teilen bankrott sei. Seine kritische Argumentation, die mit der ihm eigenen logischen Klarheit und Eleganz dargelegt wird, enthält im wesentlichen wenig Neues. Teils werden die tatsächlichen Widersprüche und schwachen Stellen in Ricardos Lehre aufgedeckt, die schon von seinen früheren Kritikern und in erster Linie von Marx (Mehrwerttheorie, Lehre vom Arbeitslohn) vermerkt wurden, teils ist sie auf einer Vermischung von Wert und Preis (Kritik der Rententheorie) gegründet.

Trotz seines vernichtenden Kritik an den Lehren Ricardos verherrlicht ihn Amonn als den wahren Begründer der theoretischen Ökonomie und mit den gegenwärtigen Ökonomen ein „Zurück zu Ricardo!“ zu. „Nicht Ricardo zu ersetzen ... ist die Aufgabe der Zeit auf unserem Wissensgebiet, sondern seine Gedanken zu verstehen und fortzubilden“. [30] Worin soll denn diese „Fortbildung“, dieser „Umbau“ der Theorie Ricardos bestehen? Wir sollen die Ideen Ricardos über den Arbeitswert fallen lassen und seine Gedanken über die Abhängigkeit der Preise der Waren von deren Knappheit entwickeln. Diese Gedanken, die Ricardo im Vorbeigehen hinsichtlich der absolut seltenen Gegenstände (alte Bilder, Statuen usw.) erwähnt, sind zu verallgemeinern und der Werttheorie zugrunde zu legen. Es ist unumgänglich notwendig, die Werttheorie auf dem konsequent entwickelten Prinzip der Abhängigkeit des Wertes der Waren von deren Knappheit zu errichten. Das „Prinzip der Knappheit“ stellt den Schlüssel dar, der alle Geheimnisse der Werttheorie erschließt. Es vermag uns leicht den Wert aller Austauschobjekte zu erschließen: der reproduziblen und irreproduziblen Gegenstände, der materiellen Dinge und der Dienstleistungen, der einfachen und der qualifizierten Arbeit usw.

Auf den letzten zwanzig Seiten seines erwähnten Buches legt Amonn die Grundgedanken dieser „Theorie der Knappheit“ dar, die sich an das System Cassels anschließt. [31] Mit den Arbeiten Cassels und denen der österreichischen Schule verglichen, gibt die kurze Darlegung Amonns nichts Originelles. Wir verweilen bei dieser Arbeit Amonns nur, um die interessante Feststellung zu machen, dass der Autor auch nicht den geringsten Versuch macht, die von Cassel übernommene Theorie der Knappheit mit seiner eigenen sozialen Methode in Übereinstimmung zu bringen, wie sie in seiner früheren Arbeit entwickelt worden war. Wie der frühere und der jetzige Amonn „auseinandergehen“, werden wir an einigen Beispielen zeigen.

Nehmen wir den Begriff des Wertes. In seiner früheren Arbeit hob Amonn hervor, dass „der objektive Tauschwert durchaus sozialer Natur, durch soziale Tatsachen im wesentlichen bedingt“ ist [32] In seiner neuen Arbeit erfahren wir, dass „der Wert eines Gutes steigt, wenn seine relative Seltenheit zunimmt, was seinen Grund sowohl in einer Vergrößerung unseres Begehrs als auch in einer Verringerung der verfügbaren Menge haben kann“. [33] Der frühere Wertbegriff setzte eine bestimmte soziale Organisation der Gesellschaft voraus. Jetzt spricht der Autor von einem Wert, den die Produkte bei jeder beliebigen sozialen Form der Wirtschaft besitzen. Früher kritisierte Amonn scharf den Begriff des „Gutes“ und schloss ihn aus dem Bereich der theoretischen Ökonomie aus. Jetzt arbeitet er selbst mit diesem Begriff. Früher widersprach er den naturalistisch-psychologischen Theorien, jetzt sieht er den letzten Grund des Wertes in der Dringlichkeit des „Begehrs“ einerseits und in der Zahl der verfügbaren Güter andererseits – d. h. in rein psychologischen und technischen Momenten.

In noch schrofferer Form kann man den Unterschied zwischen dem jetzigen und dem früheren Amonn am Beispiele des Begriffes der Arbeit illustrieren. In seinem ersten Buche kritisierte Amonn scharf den üblichen Begriff der „Arbeit“ als Tätigkeit, die sich durch bestimmte rein technische oder psychische Merkmale auszeichnet (z. B., dass sie auf Vermehrung des Reichtums an materiellen Dingen gerichtet ist oder nach dem sogenannten „ökonomischen Prinzip“ geführt wird). Dieser psychologisch-technische Begriff der Arbeit ist der theoretischen Ökonomie als sozialer Wissenschaft fremd.

„Das Kriterium für den Begriff der Arbeit im nationalökonomischen Sinne darf aber nicht in einer bestimmten technischen Art bzw. psychologischen Richtung der menschlichen Tätigkeit gesucht, sondern kann lediglich in der besonderen Stellung, die die menschliche Tätigkeit in einem bestimmt gearteten sozialen Verkehr, nämlich im individualistischen Sozialverkehr einnimmt, gefunden werden.“ [34]

Die Arbeit kann uns nur als Objekt sozialer Austauschbeziehungen interessieren, in welcher Eigenschaft sie sich von den anderen Austauschobjekten (den Waren z. B.) nur in der kapitalistischen Wirtschaft in Gestalt der Lohnarbeit unterscheidet. Nicht der Begriff der Arbeit überhaupt, sondern nur der Begriff der Lohnarbeit hat sozialen Charakter und führt in das Forschungsgebiet der theoretischen Ökonomie.

„Arbeit ist also im Sinne der theoretischen Nationalökonomie für einen anderen gegen Entgelt geleistete Tätigkeit.“ [35]

Zu unserem Erstaunen wird diese formal-soziale Definition der Arbeit in dem neuen Buche Amonns durch eine technische Definition abgelöst, die sich nicht gerade sehr erheblich von der traditionellen Begriffsbestimmung der Arbeit unterscheidet, wie sie so treffend von unserem Autor in seinem früheren Werke kritisiert worden war.

„Arbeit im Sinne der theoretischen Nationalökonomie ist jede Tätigkeit, welche eine künstliche Veränderung des objektiv gegebenen, natürlichen Mengenverhältnisses der Güter zum Ziele hat.“ [36]

Hier treffen wir in neuer und versteckterer Form den herkömmlichen Hinweis auf psychische Ziele und technische Resultate der Arbeit, während ihre soziale Form völlig ignoriert wird.

Vergleichen wir schließlich noch Amonns frühere und jetzige Anschauungen über das Kapital. In seiner früheren Arbeit wies Amonn nach, dass für die Umgestaltung der „individualistischen Austauschbeziehungen“ in „kapitalistische“ zu den oben beschriebenen vier Bedingungen noch eine weitere Bedingung hinzukommen muss:

„die Ungleichheit individueller Verfügungsmacht im sozialen Verkehr, also eine soziale Übermacht einzelner Individuen gegenüber anderen.“ [37]

Weil der Kapitalismus das Vorhandensein bestimmter sozialer Beziehungen voraussetzt, kann die technische (oder sog. volkswirtschaftliche) Definition des Kapitals als Gesamtheit der produzierten Produktionsmittel nicht zur Richtschnur genommen werden. [38]

„Die Kapitalseigenschaft (wird) nicht durch die technische Natur der Objekte, wie die Beweglichkeit oder die Produkteigenschaft oder die Produktionsbestimmung der Objekte u. dgl., welche ja hier vollständig unverändert bleibt, sondern lediglich durch ein soziales Moment konstituiert.“ [39]

Etwas ganz anderes gibt uns Amonn in seinem Buch über Ricardo. Hier erfahren wir, dass

„Kapital also alles (ist), was akkumulierte Arbeit und Bodennutzung, also Produkt“ ist. „Nicht die Produktionsmitteleigenschaft eines Gutes ist das, was den Kapitalcharakter begründet, sondern die Produkteigenschaft.“ [40]

Wenn also früher Amonn sagte, „Produkteigenschaft“ des Objektes mache es nicht zum Kapital, so erfahren wir jetzt genau das Gegenteil. Jedes fertige „Produkt“ (wenn es nur Tauschwert hat) ist Kapital, zum Unterschied von der Arbeit, die noch der Ausführung unterliegt, und von den Bodennutzungen, die noch nicht ausgenutzt sind. Das „Produkt“ vereinigt in sich diese beiden Elemente (Arbeit und Bodennutzung) in schon „gesammelter Form“ und hat deshalb immer einen höheren Wert als diese beiden Elemente, die es zusammensetzen. Diese Differenz im Werte bildet auch die „Prozente“ auf das Kapital. [41] Die Kapitalseigenschaft leitet sich aus materiell-technischen Besonderheiten des „Produktes“ ab, soziale Elemente sind aus der Kapitaldefinition sorgfältig ausgemerzt.

Wie wir sehen, ereilte Amonn ein ebenso betrübliches Schicksal, wie die anderen Anhänger der „sozialen“ Richtung (z. B. Stolzmann und Petry), die auch die sozialen Beziehungen vom gesellschaftlichen Produktionsprozess trennten. Durch diese Trennung machten sie ihre „soziale Methode“ unfruchtbar und verwandelten ihre „sozialen“ Begriffe in leere Schemen, die für die Erklärung der realen ökonomischen Erscheinungen, die eben eng mit dem Produktionsprozess verbunden sind, nicht passen. Die genannten Autoren arbeiten mit ihren sozialen Begriffen mir solange mehr oder weniger erfolgreich, als sie sich auf allgemein methodologische Erörterungen über die Problemstellung beschränken. Sowie es sich aber nun tatsächlich um die Lösung ökonomischer Probleme handelt (Wert-, Geld-, Kapitaltheorie usw.), verweigern die vom Produktionsprozess losgerissenen formal-sozialen Begriffe ihren Dienst. Wenn die Wert-, Kapital-, Profiterscheinungen usw. ausschließlich als Ausdruck bestimmter formal-sozialer Beziehungen der Menschen betrachtet werden, außerhalb jeder Verbindung mit dem materiellen Produktionsprozess, so bleibt der ganze materielle Inhalt und insbesondere die quantitative Bestimmtheit der genannten grundlegenden ökonomischen Erscheinungen vollkommen unerklärt. Die quantitativen Veränderungen im Wert, Arbeitslohn, Profit usw. erfüllen bestimmte Funktionen im materiellen Produktionsprozess; da aber dieser ganz außerhalb des Feldes der Untersuchung bleibt, so bleibt auch die Gesetzmäßigkeit der besagten Veränderungen unerklärbar. Das einseitige Interesse der Ökonomen der sozialen Richtung für die formal-qualitative Seite der wirtschaftlichen Erscheinungen, bei völliger Ignorierung ihrer materiell-quantitativen Seite, rächt sich bitter. Es verschließt ihnen jeden Weg, die Veränderungen im Wert und in den Revenuen zu erklären, d. h. gerade diejenigen Probleme zu entscheiden, die der Angelpunkt der gesamten theoretischen Ökonomie sind. Um aus dieser Schwierigkeit herauszukommen, bleibt den Anhängern der sozialen Richtung nichts anderes übrig, als zu einer der beiden folgenden Möglichkeiten ihre Zuflucht zu nehmen: Die eine Möglichkeit besteht darin, einer formal-sozialen Regelung die wundertätige Eigenschaft zuzuschreiben, eine bestimmte Größe der Revenuen wie des Wertes festzusetzen. So verfährt Stolzmann, der unterstellt, dass sowohl in der kapitalistischen wie in der sozialistischen Gesellschaft im voraus durch „soziale Regelung“ die „sozial notwendige Größe der Revenuen (Arbeitslohn, Profit) festgesetzt wird, die ihrerseits die Größe des Wertes bedingt. [42] Die gesellschaftliche Regelung der kapitalistischen Wirtschaft denkt sich Stolzmann offenbar als das Werk einer bewusst handelnden teleologischen Einheit. Amonn ist nicht geneigt, zu einer solch gewagten und willkürlichem Konstruktion seine Zuflucht zu nehmen. Ihm, wie auch Petry [43], bleibt daher kein anderer Ausweg, als bei der Erklärung der realen ökonomischen Erscheinungen auf die soziale Methode zu verzichten und in diesem Gebiet vor der traditionellen Theorie zu kapitulieren, die die Erklärung der ökonomischen Erscheinungen in technischen und psychologischen Momenten sucht. Hieraus erklärt sich die Dualität in den Lehren Amonns, wie wir sie oben schon am Beispiel seiner Wert-, Arbeit- und Kapitaldefinitionen zeigten. In seinem neuen Buche „Grundzüge der Volkswohlstandslehre“ bemüht sich Amonn, diesen Dualismus zum Prinzip zu machen. Nach seiner Meinung besteht die theoretische Wirtschaftswissenschaft aus zwei verschiedenen Teilen: 1. die theoretische Volkswirtschaftslehre, die den Prozess der Wirtschaft untersucht, soweit er von bestimmten Bedingungen abhängt; 2. die theoretische Nationalökonomie, die bestimmte soziale Beziehungen der Menschen untereinander untersucht, unabhängig davon, ob sie in der Sphäre der Wirtschaft Platz greifen oder nicht.

In diesem Aufsatz, der sich eine kritische Analyse der methodologischen Anschauungen Amonns zum Ziel setzte, kann nicht auf eine Kritik dieses neuen positiven Systems eingegangen werden, das sich auch durch Dualismus auszeichnet. Wir betonen nur, dass dieses neue System Amonns indirekt davon zeugt, dass er seine methodologischen Prinzipien aufgegeben hat. Die soziale Methode Amonns, durch einen rein formalen Standpunkt unfruchtbar gemacht“ hat sich somit als ein zu schwaches Werkzeug für die Errichtung eines neuen Gebäudes der theoretischen Ökonomie erwiesen.


Fussnoten

[1] A. Amonn, Objekt und Grundbegriffe der theor. Nationalökonomie, zweite Aufl., 1927, p. V.

[2] Ebenda, S. 422.

[3] Amonn, Objekt und Grundbegriffe, S. 194.

[4] Stolzmann, Der Zweck in der Volkswirtschaft, 1909. – Petry, Der soziale Gehalt der Marxschen Werttheorie, 1916.

[5] Dieser Grundfehler des Amonnschen Systems wurde schon von W. Sombart und von einigen anderen Kritikern vermerkt.

[6] Amonn, Objekt und Grundbegriffe, zweite Aufl., S. 174 u. 175.

[7] Ebenda, S. 175.

[8] Ebenda, S. 239 f.

[9] Ebenda, S. 240.

[10] Hierin hat Amonn recht, denn die Produktion kann in anderen sozialen Formen verlaufen.

[11] Hier ist Amonn im Irrtum, da soziale Produktionsverhältnisse der Menschen untereinander nicht anders als auf Grund irgendeines Produktionsprozesses entstehen.

[12] Amonn, Objekt und Grundbegriffe, S. 240.

[13] Ebenda, S. 176, 240, 241.

[14] Marx, Theorien über den Mehrwert, 1905, Bd. I., S. 425.

[15] Nach der Anlage des Buches von Amonn zu urteilen, kann man sogar auf den Gedanken kommen, daß gerade die Abneigung des Autors dagegen, den Bereich der ökonomischen Forschung durch die Sphäre der unmittelbaren Sachgüterproduktion zu begrenzen, ihn dazu geführt hat, das Objekt unserer Wissenschaft rein formal zu bestimmen: soziale Beziehungen, die unabhängig vom Produktionsprozess überhaupt sind.

[16] Amonn, Objekt und Grundbegriffe, S. 215 u. 216 u. a.

[17] In einer bestimmten sozialen Organisation der Gesellschaft sieht Amonn die logische Voraussetzung für eine bestimmte Form der sozialen Beziehungen. Aber zur Erklärung der realen, „genetischen“ Bedingtheit dieser sozialen Beziehungen, z. B. der Austauschbeziehungen, ist er gezwungen, sich auf Tatsachen zu berufen, die seiner Meinung nach außerhalb des theoretisch-ökonomischen Forschungsgebietes liegen, nämlich auf individuelle Motive der austauschenden Personen, wie auf ihr Streben nach bestmöglicher Bedürfnisbefriedigung. Während er im Bereich der „logischen“ Analyse die soziale Methode verteidigt, räumt er in der „genetischen“ Untersuchung faktisch der individualistisch-psychologischen Methode das Feld (S. 307 f). Der sozialen Methode weist er das Gebiet der einleitenden, methodologischen Untersuchungen zu; sowie er zu der positiven Erforschung ökonomischer Probleme kommt, tritt in erster Linie die psychologische Methode hervor. Wenn man eine solche Verteilung der beiden Methoden im Auge behält, kann man sich die Tatsache erklären, dass Amonn in der von uns besprochenen methodologischen Arbeit von dem System der österreichischen Schule faktisch keinen Stein auf dem anderen lässt, in seinen anderen Arbeiten aber als deren Verteidiger auftritt (s. z. B. Amonn, „Liefmanns neue Wirtschaftstheorie“).

[18] Stolzmann, Der Zweck in der Volkswirtschaft, 1909.

[19] Amonn, Objekt und Grundbegriffe, S. 223.

[20] Ebenda, S. 186 u. a.

[21] Ebenda, S. 197.

[22] Amonn, Objekt und Grundbegriffe, S. 225 (von uns gesperrt). Auf diese Weise macht Amonn den Versuch, sich von der Vermengung der sozialen und rechtlichen Regelung fernzuhalten – eine Vermengung, die am stärksten bei Stammler zu finden ist und die man in etwas verwässerter Form auch bei Stolzmann antrifft

[23] Amonn, Objekt und Grundbegriffe, S. 224.

[24] Ebenda, S. 275.

[25] Ebenda, S. 274 u. 275.

[26] Ebenda, S. 276 f., 295.

[27] Amonn, Objekt und Grundbegriffe, S. 272, Anm.

[28] Amonn, Objekt und Grundbegriffe, S. 279 u. 280.

[29] Amonn, Objekt und Grundbegriffe, S. 275, Anm.

[30] Amonn, Ricardo als Begründer der theoretischen Nationalökonomie, 1924, p. IV.

[31] Siehe Cassel, Theoretische Sozialökonomie, zweite Aufl., 1921.

[32] Amonn, Objekt und Grundbegriffe, S. 306.

[33] Amonn, Ricardo als Begründer, S. 107 (gesperrt vom Verfasser).

[34] Amonn, Objekt und Grundbegriffe, S. 346.

[35] Ebenda, S. 376.

[36] Amonn, Ricardo als Begründer, S. 108.

[37] Amonn, Objekt und Grundbegriffe, S. 355 u. 356.

[38] Ebenda, S. 360 u. 361.

[39] Amonn, Ricardo als Begründer, S. 116. Aus dem neuen Buche Amonns, Grundzüge der Volkswohlstandslehre, S. 97, erfahren wir, dass die Gegenstände unter der Bedingung Kapital werden, wenn sie gleichzeitig „Produktionsmitteleigenschaft“ und „Produkteigenschaft“ besitzen.

[40] Amonn, Objekt und Grundbegriffe, S. 369.

[41] Amonn, Ricardo als Begründer, S. 115.

[42] Vgl. I. I. Rubin, Rudolf Stolzmann und die soziale Methode in der politischen Ökonomie, russisch.

[43] Petry, Der soziale Gehalt der Marxschen Werttheorie, 1910.


Zuletzt aktualisiert am 8. Februar 2020