Isaak Iljic Rubin

Stolzmann als Marxkritiker

(1928)


Aus: Marx-Engels Archiv, Zeitschrift des Marx-Engels-Instituts in Moskau, hrsg. von D. Rjazanov, Band 1, Frankfurt/M. 1928, S. 370-86.
Transkription u. HTML-Markierung: J.L.W. für das Marxists’ Internet Archive.


Im Jahre 1920 veröffentlichte Rudolf Stolzmann die Grundzüge einer Philosophie der Volkswirtschaft, worin er eine kurzgefasste allgemeine Darstellung seiner ökonomischen Anschauungen gibt, die er in seinen schon früher erschienenen umfangreichen Arbeiten Die soziale Kategorie in der Volkswirtschaftslehre (1896) und Der Zweck in der Volkswirtschaft (1909) ausführlich entwickelt hatte. In diesem Buch wiederholt Stolzmann seine hauptsächlichsten kritischen Einwände gegen die Theorie von Marx, die, soweit uns bekannt, bis jetzt keine Beurteilung in der marxistischen Literatur gefunden haben.

Die kritische Arbeit Stolzmanns erweckt nicht nur deshalb Interesse, weil sie von einem tiefen und originellen Denker herrührt, nicht nur deshalb, weil ihr Verfasser in seinen Ausgangspunkten bisweilen sehr nahe an den Standpunkt von Marx herankommt, und schließlich nicht nur deshalb, weil er Marx größte Aufmerksamkeit zuteil werden lässt und oft in seine Untersuchung theoretische Auseinandersetzungen mit ihm einflicht[1] – sondern die Arbeit Stolzmanns erweckt vor allen wegen der eigenartigen kritischen Position, von der Stolzmann ausgeht, sozusagen seiner Angriffsstellung, unser Interesse.

Den meisten Kritikern Marxens ist seine eigenartige Methode, die die ökonomischen Erscheinungen als gesellschaftliche oder soziale untersucht, vollkommen unverständlich geblieben. Infolgedessen verfehlt diese Kritik völlig das Ziel und trifft nicht den wirklichen, sondern einen Phantasie-Marx. Stolzmann versteht nicht nur den soziologischen Charakter der Marxschen Untersuchungsmethode, sondern ist auch selber ein eifriger Verfechter der „sozial-organischen Methode“ in der politischen Ökonomie. Er kritisiert scharf das traditionelle Verfahren der politischen Ökonomie, sich auf das Studium der „natürlichen“ (materiell-technischen) Kategorien der Volkswirtschaft zu beschränken und die „sozialen“ Kategorien zu ignorieren. Er deckt mit größtem Nachdruck sowohl im naturalistischen Objektivismus, im System der Klassiker, als auch in dem durch die österreichische Schule vertretenen Subjektivismus die schwachen Stellen auf. Nach Stolzmann ist Marx der richtigen Auffassung der „sozialen“ Kategorien in der Volkswirtschaft am nächsten gekommen. Und wenn er Marx kritisiere, so deshalb, weil er gleichfalls nicht die soziale Methode in ihrer ganzen Folgerichtigkeit verstanden habe und in seiner Werttheorie unter den Einfluss naturalistischer Vorurteile gelangt sei. Wenn die meisten Kritiker Marxens nicht bis zur Höhe seiner „soziologischen“ Methode gelangt seien, so erhebt Stolzmann den Anspruch, dass er sie in seiner „sozial-organischen“ Methode überflügelt habe.

Um die Kritik Stolzmanns richtig bewerten zu können, muss vor allem darauf hingewiesen werden, dass Stolzmann, obgleich er, wie Marx, es nötig findet, die soziale Form („soziale Regelung“, in seiner Terminologie) der Volkswirtschaft zu studieren, darunter etwas vollkommen anderes versteht als Marx. Für Marx ist die gegebene soziale Form der Wirtschaft (das Produktionsverhältnis der Menschen) notwendig die Folge einer bestimmten Entwicklung der materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft. Stolzmann dagegen sieht in ihr das Resultat des schöpferischen Aktes des freien, ethisch-gerichteten menschlichen Willens. Dieser habe bewusst, indem er sich nach diesen oder jenen ethischen Idealen richtet, in der Absicht, diese Ideale zu verwirklichen, die bestimmte „soziale Regelung“ in der Volkswirtschaft geschaffen, und verwandle durch diese die blinde Materie (d.i. die materiell-technische Seite) der Volkswirtschaft in die sozial-regulierte Volkswirtschaft. Deshalb müsse die gegebene „soziale Regelung“ der Volkswirtschaft als Mittel zur Verwirklichung bestimmter ethischer Ziele, d. h. vom ethisch-teleologischen Standpunkt, betrachtet werden. Weil Marx die soziale Form der Volkswirtschaft (die Produktionsverhältnisse der Menschen) einer rein kausalen Untersuchung unterwerfe und die letzte Ursache ihrer Veränderungen in der Entwicklung der materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft sehe, neigt Stolzmann dazu, hierin einen Rückfall in den ihm verhassten „Naturalismus“ zu sehen. Durch die Identifizierung des Sozialen mit dem Ethisch-Teleologischen verwandelt Stolzmann seinen Kampf gegen den Naturalismus in der Ökonomie zu einem Kampf gegen die rein kausale Untersuchung der sozialen Erscheinungen.

Im Gegensatz zu anderen Kritikern setzt sich Stolzmann das Ziel, nicht diese oder jene einzelnen Fehler und Widersprüche in den von ihm untersuchten Lehren aufzudecken, sondern „den Grundanschauungen der großen Wertsysteme nachzugehen[2]. Das System des Arbeitskostenwertes sei durch die Klassiker (Smith und Ricardo) begründet worden, und von ihnen hätten die Sozialisten (Marx und Rodbertus) es entlehnt, „um die Bourgeoisie mit deren eigenen Waffen zu schlagen“[3]. Die Klassiker hätten die Theorie vom Arbeitskostenwerte nicht konsequent genug durchgeführt und daraus keine sozialistischen Folgerungen gezogen. „Anders die Sozialisten. Wenn, sagen sie, aller Güterwert auf Arbeit zurückgeführt werden muss, so ist der Kapitalgewinn mitsamt der Grundrente ein im ‚Mehrwert’ einheitlich umschlossener Abzug vom Arbeitsprodukt, er ist ein Raub, Eigentum ist Diebstahl“[4]. „Die Unerbittlichkeit dieser Logik wäre evident, wenn ihr Vordersatz, der Arbeitskostenwert, auf Wahrheit beruhte[5].“Aber diese Lehre habe den Fehler aller Theorien, die den Güterwert aus den Herstellungskosten folgerten. Sie sei auf dem falschen Schluss begründet, „dass mit der genetisch-kausalen Entstehung der Güter aus den Kostengütern auch ihr Wert gleichzeitig mit diesem und durch sie geschaffen werde“ [6]. Aber „der Wert als solcher wird überhaupt nicht ‚wie ein Stück Leinewand’ erzeugt“. „Nicht der Wert wird erzeugt, sondern nur sein materieller Träger, das stoffliche Ding. Die Verwechslung von Stoff- und Werterzeugung ist es ja auch, wodurch die allermeisten Irrtümer in unserer Wissenschaft hervorgerufen werden[7].“ Ganz erstaunlich sei es, dass diese Begriffsverwechselung von Marx übernommen worden sei, der mit Recht jene Lehre, die die Ware als ein sinnliches Ding mit übersinnlichen Eigenschaften ansieht, Fetischismus nennt „Es ist unbegreiflich, wie Marx diesen Fetischcharakter ‚zuerst erkannt’, dafür aber der ,Arbeit’, die doch in ihrer produktionstechnischen Funktion ebenfalls nur eine natürliche Kategorie, ein ,sinnliches Ding’ darstellt, als größtem und einzigem Fetisch einen Altar errichtet hat“ [8].

Marxens Werttheorie gerät, nach Stolzmann, in Widerspruch zu seiner Verteilungstheorie, in der er nachweist, wie unsinnig es sei, die drei Formen der Revenuen (Arbeitslohn, Kapitalgewinn und Rente) aus den drei natürlichen Produktionsfaktoren (Arbeit, Produktionsmittel und Boden) abzuleiten. Diese Formen der Abfindung seien ein Ausfluss der bestimmten sozialen oder Produktionsverhältnisse zwischen den Menschen. Aber wenn diese Revenuen, die den Gesamtwert aller Produkte bilden, aus der sozialen Regelung der Volkswirtschaft entsprängen, so sollte sie und nicht die Arbeit als Quelle des Güterwertes (welcher eine Summe aller Revenuen darstellt) betrachtet werden. Marx könnte ebenfalls sagen:

„die drei Produktionsfaktoren sind Naturdinge (Naturkräfte), der Wert aber, den man für sie in ihrem Preise bezahlt, ist ein Entgelt, dessen Wesen und Höhe sich nicht aus der Natur, sondern aus der historisch gegebenen ,Regelung’, aus der Verteilung herleitet. Statt nun aber den allein richtigen Schluss zu ziehen, dass Wert und Verteilungsfunktion zusammenfallen, da sie beide nur der Ausfluss einer höheren Einheit, der Einheit der sozialen Organisation, sind, dass also die ,Gesamtlinie’, der Wert der Gesamtproduktion, mit den ,Teillinien’ [i. e. Revenuen – I. R.] homogen, der Wert des Gesamtprodukts und der Wert der Teillinien, beiderseits sozialer Natur seien, entzieht er [Marx – I. R.] sich dieser Konsequenz dadurch, dass er den Wert des Gesamtprodukts, der ganzen Linie, auf rein ökonomischer[9] Grundlage aufbaut, auf dem Naturding Arbeit, den Wert der Teillinien aber sozial bestimmt, mit anderen Worten eine natürliche Größe in heterogene, nämlich soziale, Größen auflöst. Macht er den Vulgärökonomen den berechtigten Vorwurf, dass sie ein soziales Ergebnis, die drei Abfindungsanteile, aus natürlichen Produktionsagentien hervorgehen lassen, so mutet er seinerseits dem Intellekt das Opfer zu, ein Ganzes in heterogene Teile zu zerlegen“[10].

Wir haben dieses Zitat so ausführlich gebracht, weil hier der Mittelpunkt der Kritik Stolzmanns formuliert ist, die zwischen der „sozialen“ Verteilungstheorie von Marx und seiner „natürlichen“ Werttheorie einen tiefen Widerspruch sieht. „Die sozialistische Arbeitskostentheorie blieb, weil sie nicht volle Arbeit lieferte – trotz der bezeichneten besseren Einsicht in Bezug auf den sozialorganischen Ursprung der Abfindungen – bei der Lehre vom Werte im Rein-Ökonomischen stecken“[11]. Nachdem Stolzmann den Hauptwiderspruch der Marxschen Theorie formuliert hat, geht er zum Beweis seiner Behauptung von dem „natürlichen“ Charakter der Marxschen Werttheorie über.

Der Aufmerksamkeit Stolzmanns ist es nicht entgangen, dass Marx bei der Ableitung des Wertes von der Arbeit nicht den Gebrauchswert oder die materielle Sache, sondern ihren Tauschwert meint; dabei habe Marx nicht konkrete, nützliche Arbeit, sondern gesellschaftliche, abstrakte Arbeit im Auge. „Hat so Marx das letzte ,Atom des Gebrauchswertes’ und damit die letzte Spur der rein ökonomischen Kategorie aus dem Begriffe des Güterwerts fortdeduziert und den kühnen Schluss gezogen, dass für das Gut nur noch eine Eigenschaft übrig bleibe, die Eigenschaft eines Arbeitsprodukts, so macht er nun in einer zweiten Gedankenreihe den Anlauf, das Gut auch in dieser seiner Gestalt, als Arbeitsprodukt, seines rein-ökonomisch natürlichen (,nützlichen’) Charakters zu berauben“[12]. Und zwar werde die Arbeit auf gesellschaftliche, abstrakte Arbeit reduziert. Sowohl Wert als auch Arbeit scheinen in der Lehre Marxens gesellschaftliche „soziale“ Kategorien ohne irgendeine Spur einer „rein ökonomischen Kategorie“ zu sein. Jedoch gelingt es Stolzmann, in ihnen Überbleibsel des „Naturalismus“ zu entdecken. Zwar hat Marx, wie Stolzmann sagt, der Arbeit „gesellschaftlichen“ Charakter zugesprochen, aber „dieser Begriff des Gesellschaftlichen fällt nicht mit dem Begriff der wahren sozialen Kategorie zusammen“[13]. Er leidet an der Erbsünde des nicht vollständig beseitigten Naturalismus.

Also sehen wir zu, wie Marx den Begriff „gesellschaftlich“ verwendet Es ergeben sich dabei nach Stolzmanns Meinung drei Arten oder drei „Stufen“ des gesellschaftlichen Begriffs[14]. Die beiden ersten „Stufen“ finden wir in der Werttheorie, die dritte in der Verteilungstheorie. Zur Illustration der beiden ersten „Stufen“ führt Stolzmann die folgenden bekannten Werke Marxens an:

„Von diesem Augenblick erhalten die Privatarbeiten der Produzenten tatsächlich einen doppelten gesellschaftlichen Charakter. Sie müssen einerseits als bestimmte nützliche Arbeiten ein bestimmtes gesellschaftliches Bedürfnis befriedigen und sich so als Glieder der Gesamtarbeit, des naturwüchsigen Systems der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit, bewähren. Sie befriedigen andererseits nur die mannigfachen Bedürfnisse ihrer eigenen Produzenten, sofern jede besondere nützliche Privatarbeit mit jeder anderen nützlichen Art Privatarbeit austauschbar ist, also ihr gleichgilt Die Gleichheit toto coelo verschiedener Arbeiten kann nur in einer Abstraktion von ihrer wirklichen Ungleichheit bestehen, in der Reduktion auf den gemeinsamen Charakter, den sie als Verausgabung menschlicher Arbeitskraft, ,abstrakt menschliche Arbeit’, besitzen“[15].

In der zitierten Stelle betrachte Marx den Unterschied zwischen der konkreten (nützlichen) und abstrakten Arbeit, wobei sich ergebe, dass die Arbeit in beiden Formen „gesellschaftlichen“ Charakter trage. Der ‚gesellschaftliche’ Charakter der konkreten Arbeit bedeute, dass diese im System der gesellschaftlichen Arbeitsteilung eingeschlossen sei. Der ‚gesellschaftliche’ Charakter der abstrakten Arbeit bestehe in der Gleichsetzung aller besonderen Arbeitsarten durch den Austauschakt ihrer Produkte.

In einem dritten Sinne gebrauche Marx den Begriff „gesellschaftlich“ in seiner Verteilungstheorie, wo er von „gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen“, „Gesellschaftsformation“, „geschichtlich bestimmten Produktionsverhältnissen“ (zwischen Kapitalisten, Arbeitern und Grundbesitzern) spreche[16]. Hier habe Marx wirklich den „rein-sozialen Begriff“ in Verbindung mit der bestimmten sozialen Regelung, d. h. mit der gegebenen geschichtlichen Form der Volkswirtschaft im Auge. Aber das könne man nie von den beiden ersten Auffassungen des „gesellschaftlichen“ Begriffes sagen, die wir in der Werttheorie finden. Der erste Begriff „gesellschaftlich“ habe nichts gemein mit der sozialen Kategorie, da die Beziehung zwischen den verschiedenen Arbeitsarten in dem naturwüchsigen System der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit eine Tatsache rein-technischen Charakters darstelle[17]. Hier verdecke der Begriff “gesellschaftlich“ auf unzulässige Weise die rein-natürliche Kategorie. Was den zweiten Begriff „gesellschaftlich“ betreffe, der als abstrakte ‚gesellschaftlich-notwendige, den Wert bildende Arbeit charakterisiert werde, so sei er ein Mittelding zwischen dem ersten, rein-natürlichen, und dem dritten, rein-sozialen, Begriff, ein „mixtum compositum“ natürlicher und sozialer Momente[18]. Um dies zu beweisen, geht Stolzmann zur Analyse der den Wert bildenden Arbeit über.

„Was bedeutet denn die ,gesellschaftlich’ notwendige Arbeit, die nach Marx den Wert bilden soll?[19] Sie bedeutet – antwortet Stolzmann – „Einweisung und Verwendung der Arbeit nach ihrer durchschnittlichen Leistungskraft, nach dem ‚Prinzip des kleinsten Mittels’[20], und Befriedigung der wichtigsten Bedürfnisse“ Hier handle es sich um eine richtige technische Anwendung der Arbeit, um die ‚bloße natürliche Zweckmäßigkeit, eine Frage der technischen Arbeitsteilung’, um ,natürliche’ und nicht ,soziale’ Notwendigkeit[21]. Die Charakterisierung der Arbeit als notwendige habe keine Beziehung zur ‚jeweiligen Gesellschaftsformation’, und so verhalte es sich auch mit der Charakterisierung der Arbeit als abstrakt oder gleichartig[22]. „Dieser Begriff [der abstrakten Arbeit – I. R.], wenn er noch irgendeinen reellen Sinn haben soll, stellt nur einen Summenbegriff dar, und es ist nicht einzusehen, wie die Summierung von einer Million einzelner konkreter naturaler Arbeitsleistungen einen höheren Begriff, den ‚gesellschaftlichen’ Arbeitstag, aus sich heraus erzeugen soll. ‚Nützliche’, d. h. Gebrauchswerte schaffende Arbeit, verliert auch innerhalb der ‚gesellschaftlichen’ Arbeitsteilung und Arbeitsvereinigung nicht ihren natürlichen Charakter; denn Arbeitsteilung und Arbeitsvereinigung bedeutet zunächst nur ein technisches Zusammenwirken natürlicher Arbeitskraft[23].“ Der Begriff von der abstrakten Arbeit sei einfach ein ,“Phantasieprodukt“ [24]. Marx habe ein Bild, einer nicht existierenden „abstrakten“ Gesellschaft gleicher Warenproduzenten geschildert, worin die Waren nach einer nicht existierenden abstrakten Arbeit bewertet würden. Statt aber diese ideale oder hypothetisch gesetzte Gesellschaft der wirklich existierenden kapitalistischen Welt gegenüberzustellen, nehme er sie als Wirklichkeit und übertrage seine Gedankenkonstruktion vom Arbeitswert direkt auf die Erscheinungen der kapitalistischen Wirtschaft[25]. Es sei begreiflich, dass zwischen Konstruktion und Wirklichkeit ein scharfer Widerspruch entstände, da die Waren in der kapitalistischen Gesellschaft nicht nach dem Arbeitskostenwert verkauft würden. Marx versuche diesen Widerspruch durch den Hinweis zu beseitigen, dass die Arbeitskostensumme aller Produkte mit der Summe ihrer Produktionspreise zusammenfalle[26].

Bei der Kritik dieser Theorie der Produktionspreise von Marx wiederholt Stolzmann in den meisten Fällen Böhm-Bawerks und zum Teil auch Sombarts bekannte Einwendungen: „Hier wird nicht Nationalprodukt gegen Nationalprodukt ausgetauscht, sondern es tauschen die Individuen untereinander individuelle Produkte“ [27], und daher müsse die Werttheorie das Austauschverhältnis der konkreten Einzelprodukte zum Gegenstande haben. Diese würden nach dem Produktionspreise ausgetauscht, und man brauche so dahinter nicht irgendeinen verborgenen Arbeitskostenwert zu suchen. Die von Marx angenommene Verwandlung des Arbeitskostenwertes in den Produktionspreis komme, wie Sombart gezeigt habe, niemals vor[28]. Marxens Hinweis darauf, dass diese Verwandlung infolge der Konkurrenz geschehe, sei nicht überzeugend, da die Konkurrenz, wie Marx selber anerkannt habe, stets nur in bestimmten Schranken oder Grenzen wirke, und für die Forschung bestehe die Aufgabe, das diese Schranken bestimmende innere Gesetz zu finden[29]. Im großen und ganzen hätten die Bemühungen von Marx nicht den schreienden Widerspruch zwischen dem ersten und dritten Band des Kapitals zu beseitigen vermocht „Man hat mit Recht gesagt, dass diese Veröffentlichung [des dritten Bandes – I.R.] einen ‚Selbstmord’ darstellt. Die Marxsche Wertlehre bietet von jetzt ab ja kaum noch mehr als ein pathologisches Interesse dar. Lassen wir denn also die Toten ruhen[30].“ Nachdem Stolzmann die Marxsche Theorie so leicht begraben hat, erklärt er ihr trauriges Schicksal damit, dass sie versucht habe, eine ausgeklügelte, abstrakte Konstruktion auf die Realität anzuwenden, statt den wirklichen Güterwert als Resultat der sozialen Regelung der bestehenden kapitalistischen Gesellschaft realistisch zu untersuchen[31].

Die Unrichtigkeit der Marxschen ökonomischen Theorie führt Stolzmann auf die ihr zugrunde liegenden falschen philosophischen und soziologischen Anschauungen zurück. Der allgemeine Ausgangspunkt von Marx – „der Wert und alle mit ihm zusammenhängenden wirtschaftlichen Erscheinungen sind in ihrem letzten Wesen gesellschaftliche Tatsachen“ –, sei vollkommen richtig[32]. „Marx hat die objektivistische Methode mit Recht angewendet, aber er hat sie falsch gehandhabt[33]“. Er habe einen vollkommen richtigen Standpunkt für seine Untersuchung der „Gesellschaft“ eingenommen, aber einen falschen Gesellschaftsbegriff aufgestellt, worin „wirklich gesellschaftliche (‚soziale’) und rein-ökonomische Elemente“ [34] miteinander vermischt seien. Als Grundlage der gesellschaftlichen Entwicklung nehme er die Entwicklung der Produktivkräfte an –, eine rein-technische Tatsache, die nur die “Möglichkeit“ bestimmter sozialer Erscheinungen schaffe[35]. Diese Möglichkeit werde nur dann zur Wirklichkeit, wenn zu der technischen Entwicklung der Produktivkräfte die bestimmte „soziale Regelung“ als bewusste, zweckmäßige, aufbauende Tätigkeit des Menschen hinzukomme[36]. Marx dagegen verwandle diese „soziale Regelung“ aus der sozial-ethischen „Zweckbildung“ in ein elementares mechanisches Resultat der blinden „Materie“, der Entwicklung der Produktivkräfte – ein Resultat, das hinter dem Rücken der Menschen wirke und deshalb vollkommen unverständlich sei[37].

Das gesellschaftliche Leben werde zu einer „Hieroglyphe“, hinter der realen Erscheinung wirken versteckte, geheime Ursachen: die abstrakte Gesellschaft gleicher Warenproduzenten, die abstrakte Arbeit, das Gesamtkapital usw.[38]. Im ganzen weise der Marxsche Begriff „Gesellschaft“ („Produktionsverhältnisse“ nach Marx oder „soziale Regelung“ nach Stolzmann) folgende Hauptmängel auf: er sei nicht frei von naturalistischen Elementen und trage, zweitens, einen unrealen, ausgeklügelten, „abstrakten“ Charakter. In Wirklichkeit könnten die vielen unrealen und phantastischen Konstruktionen Marxens nur verstanden werden, wenn man annehme, dass ihnen eine sorgfältig verborgene und geleugnete „ethische“ Tendenz zugrunde liege: das Bestreben, eine gerechte Gesellschaft zu schaffen, und ein heftiger Protest gegen die in der kapitalistischen Gesellschaft herrschende Ungerechtigkeit[39]. So drücke z. B. der Begriff der „gleichen“ und „abstrakten“ Arbeit nichts anderes aus als das Verlangen nach einer gerechten, sozialen Gleichheit. Der Begriff der „einfachen“ Arbeit sei von Marx eingeführt, um den tiefen Unterschied zwischen den verschiedenen Arbeitsarten und den verschiedenen Schichten des Proletariats zu vertuschen, um dieses dann um so schärfer als Ganzes den Kapitalisten gegenüberzustellen[40]. Der Begriff der „produktiven“ Arbeit reduziere sich auf die Leugnung der nützlichen Rolle der organisatorischen Arbeit des Unternehmers[41]. Die von Marx aus seinem System herausgebrachten „ethischen“ Kategorien schlichen sich unter der Form der theoretischen Kategorien heimlich darin ein. Marx hätte richtiger getan, wenn er offen und direkt das „ethische“ Problem des Gesellschaftsumbaus gestellt hätte. Dann hätte er, nach der Meinung Stolzmanns, gesehen, dass zur Beseitigung der Übel der kapitalistischen Wirtschaft die Einführung von sozialen Reformen in deren Rahmen ein besseres Mittel sei als die Verwirklichung des Sozialismus.

Von der Gesamtheit der von Stolzmann gegen die ökonomische Theorie von Marx aufgestellten kritischen Beweisgründe müssen wir die Gründe, die keine besondere Analyse und Widerlegung seitens der Marxisten erfordern, beiseite lassen. Hierher geboren: 1. Argumente, die auf einem offenbar unrichtigen Verständnis und zuweilen direkten Missverständnis Marxens beruhen; 2. Behauptungen, dass Marx das theoretische Studium der Erscheinungen durch deren ethische Bewertung ersetzt habe, und 3. Argumente, die eine einfache Wiederholung der schon früher von anderen Kritikern des Marxismus, insbesondere Böhm-Bawerk, gemachten Argumente sind. Stolzmann entging leider nicht dem gewöhnlichen Schicksal der Gegner Marxens, in deren kritischem Arsenal man auf einfachem Unverständnis Marxens beruhende Beweisgründe finden kann. Anders als ein Missverständnis kann man es z. B. nicht nennen, wenn man Marx mit den utopistischen Sozialisten in eine Gruppe bringt, die aus der Theorie des Arbeitswertes das Recht des Arbeiters auf das volle Arbeitsprodukt ableiteten. Als Beispiel der Argumente zweiter Art führen wir die Meinung an, dass Marx die Theorie der Reduktion der qualifizierten Arbeit auf die einfache Arbeit aufgestellt habe, um die ganze Arbeiterklasse als gleichartige, undifferenzierte Masse darzustellen.

Und schließlich rechnen wir zur dritten Gruppe Stolzmanns kritische Einwände gegen Marxens Theorie des Produktionspreises, die die bekannten Schlüsse Böhm-Bawerks, die schon in der marxistischen Literatur ihre Beurteilung gefunden haben, wiederholen[42].

Indem wir die aufgezählten Gruppen von Einwänden beiseite lassen, wenden wir uns der Hauptargumentation Stolzmanns zu, die für ihn überaus charakteristisch ist. Wie schon erwähnt, ist die Kritik Stolzmanns für uns von Interesse, soweit sie von dem eigenartigen „sozial-organischen“ Standpunkt des Autors ausgeht und sich dadurch prinzipiell von der kritischen Argumentation der anderen Gegner des Marxismus unterscheidet. Diese ignorieren gewöhnlich die soziologische Methode, die Marx beim Studium der ökonomischen Erscheinungen anwendet. Stolzmann schreibt nicht nur hierbei Marx das größte Verdienst zu, sondern führt selbst stets die „sozial-organische“ Methode durch und deckt dabei rücksichtslos und gründlichst alle Überbleibsel des Naturalismus in der politischen Ökonomie in ihren beiden verschiedenen Erscheinungsformen – sowohl stofflich-technisch als auch subjektiv-psychologisch – auf.

Stolzmann, der eifrige Anhänger der „sozial-organischen“ Methode macht Marx den Vorwurf, diese in seiner Werttheorie nicht konsequent genug angewendet zu haben. Gerade hierin liegt die Besonderheit der kritischen Stellung Stolzmanns, auf die zu achten ist.

Die Fehler der ökonomischen Theorie von Marx führt Stolzmann letzten Endes auf die Unrichtigkeit seines soziologischen Systems zurück. Diese Stellung Stolzmanns zur soziologischen Theorie von Marx kann uns nicht wunder nehmen. In Wirklichkeit ist die „soziologische“ Methode von Marx, die auf die rein-kausale Untersuchung der gesellschaftlichen Erscheinungen gerichtet ist, von der teleologischen „sozial-organischen“ Methode Stolzmanns sehr verschieden. Dieser identifiziert den Naturalismus mit der Kausalität und klagt Ricardo und Marx des Naturalismus deshalb an, weil sie sich auf die kausale Untersuchung der ökonomischen Erscheinungen beschränkten. Weil Stolzmann die Kausalität für Naturalismus hält, so findet er natürlich Spuren dieses „Naturalismus“ bei Marx, dessen ganze Bemühungen auf die Aufdeckung der kausalen Gesetzmäßigkeit in dem Wechsel der gesellschaftlichen Erscheinungen gerichtet waren. Für Marx ist der gegebene Typ der Produktionsverhältnisse der Menschen nicht die Offenbarung der freien geistigen Schöpfung des sittlichen Wollens der Menschen, sondern das notwendige ursächlich-bedingte Resultat des bestimmten Zustandes der Produktivkräfte der Gesellschaft. Die Bemühung Marxens, zwischen diesen und der entsprechenden sozialen Form der Wirtschaft einen engen Zusammenhang herzustellen, rufen von Seiten Stolzmanns die Vorwürfe des „Naturalismus“ hervor.

Stolzmann weiß ausgezeichnet, dass Marx das Ziel seiner Untersuchung in der Erklärung der „sozialen“ oder „gesellschaftlichen“ Form der Wirtschaft sieht. Aber, sagt er, nur in der Verteilungstheorie gebrauche Marx wirklich den Begriff „gesellschaftlich“ im rein-sozialen Sinne, wobei er die sozialen Beziehungen zwischen den Menschen (Arbeiter, Kapitalisten und Grundbesitzer), die für die betreffende soziale Form der Wirtschaft charakteristisch seien, im Auge habe. In seiner Werttheorie gebrauche er dagegen diesen Begriff in einem zweifachen, ganz verschiedenem Sinne: die Arbeit werde „gesellschaftlich“ erstens deshalb genannt, weil sie im System der gesellschaftlichen Arbeitsteilung einbegriffen sei, und zweitens, weil sie jeder anderen Arbeitsart gleichgesetzt werde. Im ersten Falle hätten wir einen rein-natürlichen Begriff, im zweiten einen gemischten, natürlich-sozialen Begriff. Sehen wir zu, ob diese Beschuldigung Stolzmanns berechtigt ist.

Beginnen wir mit dem ersten Begriff.

Marx nenne die Arbeit gesellschaftlich deshalb, weil sie im System der gesellschaftliche Arbeitsteilung einbegriffen sei. Begnügt sich Marx mit dieser Charakterisierung der Arbeit? Nein, er spricht im gleichen Satze vom „wirklichen gesellschaftlichen Charakter“ der Arbeit, und zwar von ihrer spezifischen sozialen Form, die die gesellschaftliche Teilung der Arbeit in der auf dem Arbeitsproduktenaustausch basierten Gesellschaft der unabhängigen Warenproduzenten annimmt Marx spricht nicht nur von der materiellen Verknüpfung der verschiedenen Arbeitsarten, sondern auch von der sozialen Form (Tausch), in der diese Verknüpfung zum Vorschein kommt. Er unterscheidet scharf die gesellschaftliche Teilung der Arbeit als solche von der spezifischen sozialen Form, welche sie in der Warengesellschaft annimmt. Die gesellschaftliche Teilung der Arbeit „ist Existenzbedingung der Warenproduktion, obgleich Warenproduktion nicht umgekehrt die Existenzbedingung gesellschaftlicher Arbeitsteilung. In der altindischen Gemeinde ist die Arbeit gesellschaftlich geteilt ohne dass die Produkte zu Waren werden... Nur Produkte selbständiger und voneinander unabhängiger Privatarbeiten treten einander als Waren gegenüber.[43]“ Marx der Vermengung der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit als solcher, mit ihrer spezifischen sozialen Form in der Warenwirtschaft anzuklagen, ist um so seltsamer, als gerade Marx uns gelehrt hat diese beiden Seiten zu unterscheiden, und er es war, der die Ökonomen so sehr tadelte, die die kapitalistische Wirtschaft als System der gesellschaftlichen Arbeitsteilung darstellten und deren widersprechende, antagonistische soziale Form verschwiegen[44].

Aber wenn Marx nicht die gesellschaftliche Arbeitsteilung mit ihrer spezifischen sozialen Form in der Warengesellschaft vermengt hat, hätte er dann nicht in dem Sinne einen Fehler belangen, dass er bei seiner Untersuchung jener das Hauptinteresse zuwandte und diese ignorierte? Und auf diese Frage kann man nur negativ antworten. Marx interessierten nicht jene Züge, die die Warengesellschaft mit der alt-indischen Gemeinwirtschaft gemein hat (d. h. die gesellschaftliche Arbeitsteilung), sondern jene Züge, die sie von ihr unterscheiden. Gerade aus der gegebenen sozialen Form der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und nicht nur aus der Tatsache des Vorhandenseins der gesellschaftlichen Arbeitsteilung hat Marx den Wert und die anderen ökonomischen Kategorien abgeleitet Der Umstand, dass, „sobald die Menschen in irgendeiner Weise für einander arbeiten, ihre Arbeit auch eine gesellschaftliche Form erhält“, schafft noch nicht den Wert[45]. Dieser erscheint erst dort wo die gesellschaftliche Arbeitsteilung die besondere soziale Form der Warenwirtschaft annimmt Dadurch, dass Marx die Arbeit zweifach charakterisiert: 1. als materiell verknüpft mit anderen Arbeitsarten und 2. als sozial vergleichbar mit jeder anderen Arbeitsart durch den Güteraustausch auf dem Markte – wendet er der zweiten Seite, nämlich der sozialen Form der Arbeit (d. h., nach der Einteilung Stolzmanns, dem Begriff „gesellschaftlich“ im zweiten Sinne), seine ganze Aufmerksamkeit zu.

Aber wenn dem so ist wozu brauchte Marx überhaupt den Begriff „gesellschaftlich“ im ersten Sinne, wozu war ihm der Hinweis auf den materiellen Zusammenhang aller konkreten Arbeitsarten notwendig, was als Anlass diente, ihn des „Naturalismus“ zu beschuldigen? Hier kommt die Besonderheit der Marxschen Methode gegenüber der Methode Stolzmanns zum Vorschein. Marx schildert die gegebene soziale Form des Produktionsprozesses, aber er vergisst niemals, dass es sich gerade um die soziale Form des Produktionsprozesses handelt. Die sozialen Beziehungen zwischen den autonomen und formal unabhängigen Warenproduzenten können nur auf der Grundlage der materiellen Einheit des gesellschaftlichen Produktionsprozesses verstanden werden. Der Hinweis darauf ist notwendig vom Standpunkt der Marxschen Lehre aber den Zusammenhang zwischen den Produktivkräften und den Produktionsverhältnissen der Menschen. Wenn Marx die „gesellschaftliche“ Arbeit als materiell im System der Arbeitsteilung eingeschlossen charakterisiert, so sagt er uns noch nichts von ihrer sozialen Form, bezeichnet vorläufig nur die Voraussetzungen, aber für die Analyse der sozialen Form der Arbeit notwendigen Voraussetzungen seiner Untersuchung. Damit fallen die Anklagen Stolzmanns zusammen, Marx lege seiner Werttheorie die materielle Verknüpfung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung (den Begriff „gesellschaftlich“ im ersten Sinne) zugrunde. Gehen wir jetzt zum Begriff „gesellschaftlich“ im zweiten Sinne über.

In dem oben zitierten Ausdruck sieht Marx den „gesellschaftlichen“ Charakter der Arbeit (im „zweiten“ Sinne, nach der Einteilung Stolzmanns) darin, dass „jede besondre nützliche Privatarbeit mit jeder andren nützlichen Art Privatarbeit austauschbar ist, also ihr gleichgilt [46].“ Hier bezeichnet Marx die Organisation der gesellschaftlichen Arbeit als Gesamtheit der privaten Wirtschaften, die den autonomen, gleichberechtigten Warenproduzenten gehören und durch den gegenseitigen Tausch aller Arbeitsprodukte als Werte verknüpft sind. Mit anderen Worten, hier spricht Marx von Wert und abstrakter Arbeit, hier charakterisiert er jene soziale Form, die in der Warenwirtschaft die gesellschaftliche Teilung der Arbeit angenommen hat. Dieser Begriff „gesellschaftlich“ (im zweiten Sinne) ist der Mittelpunkt der Marxschen Werttheorie, und gegen ihn richtet Stolzmann seine Haupteinwände. Er findet, dass auch dieser Begriff nicht rein sozialen Charakter trage und sich prinzipiell von jenen rein sozialen Begriffen Kapital, Profit, Arbeitslohn und Rente unterscheide, mit denen Marx in seiner Verteilungstheorie bei der Analyse der sozialen oder „Produktionsverhältnisse“ zwischen den Menschen („gesellschaftlich“ im dritten Sinne) operiere.

Die dargelegte Anschauung Stolzmanns ist unbedingt fälsch. Keiner der von ihm vorausgesetzten methodologischen Unterschiede zwischen dem Begriff „gesellschaftlich“ im „zweiten“ Sinne (die Begriffe der abstrakten Arbeit und des Wertes) und im „dritten“ Sinne (die Begriffe Kapital, Profit, Arbeitslohn und Rente) existiert. Methodologisch unterscheiden sich die von Marx in der Werttheorie (richtiger bei der Analyse der einfachen Warenwirtschaft) verwendeten Kategorien nicht von den von ihm in der Verteilungstheorie (richtiger bei der Analyse der kapitalistischen Wirtschaft) angewandten Kategorien. Sowohl diese als auch die anderen sind die Ausdrücke bestimmter sozialer oder „Produktionsverhältnisse“ der Menschen. Die Kategorie „Wert“, wie auch die Kategorie „Kapital“, drückt einen bestimmten Typ der Produktionsverhältnisse der Menschen aus, und der Hauptfehler Stolzmanns ist gerade in der Ignorierung dieses Sachverhalts enthalten. Stolzmann sieht nicht, dass in der kapitalistischen Warengesellschaft außer den Produktionsverhältnissen zwischen den Kapitalisten, Arbeitern und Grundbesitzern ein besonderer Typ von Produktionsverhältnissen zwischen den Menschen als Produzenten und Käufern (oder als gleichberechtigten Warenproduzenten) besteht. Dieser überaus abstrakte Typ des sozialen Produktionsverhältnisse zwischen den Menschen ist die historische und logische Voraussetzung der konkreten Typen des sozialen Produktionsverhältnisses der Menschen in der kapitalistischen Gesellschaft. Die Analyse der letzteren ist unmöglich ohne vorhergehende Analyse des sozialen Produktionsverhältnisses der in einem System dar Volkswirtschaft verbundenen unabhängigen Warenproduzenten. Die Analyse dieser sozialen Verhältnisse zwischen den Warenproduzenten als solchen (d. h. der einfachen Warenwirtschaft) ist eben die Werttheorie von Marx. Die Arbeitsprodukte bekommen die soziale Form des „Wertes“ nicht durch den technischen Umstand der für sie aufgewandten Arbeit – diese Vorstellung schreibt Stolzmann Marx zu-, sondern dadurch, dass ihre Produzenten durch bestimmte soziale Verhältnisse als private Warenbesitzer verbunden sind. Nur die bestimmte geschichtlich-soziale Form der Organisation der gesellschaftlichen Arbeit in dem Rahmen der Warenwirtschaft teilt den Arbeitsprodukten die besondere soziale Wertform mit Also, Marx betrachtet die „gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse“, die „gesellschaftliche Formation“, die „historisch bestimmten Produktionsverhältnisse“ trotz Stolzmann[47] nicht nur in seiner Distributionstheorie (oder Theorie der kapitalistischen Gesellschaft), sondern auch in der Werttheorie (oder Theorie der einfachen Warenwirtschaft).

Also die „Wert“kategorie hat „reinsozialen“ und nicht gemischten „sozial-natürlichen“ Charakter. Selbstverständlich hat sie ihre materielle Voraussetzung: den bestimmten Zustand der Produktivkräfte (oder der „gesellschaftlichen Technik“, die sich ebenfalls im Lauf der gesellschaftlichen Entwicklung ändert und deshalb nicht die Benennung „rein-natürliches“ Wirtschaftselement verdient), der die Entwicklung des Austausches vorbereitet und begleitet; aber diese Besonderheit teilt die Wertkategorie mit allen „gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen“, darunter auch Kapital, Profit usw. Wenn dieser Umstand die letzteren Kategorien nicht hindert, nach Stolzmanns Meinung, den „rein-sozialen“ Charakter zu behalten, so ist es auch unbegründet, in der Wertkategorie eine unzulässige Vermengung natürlicher und sozialer Momente zu sehen. Stolzmann ist sehr stark im Unrecht, wenn er Marx vorwirft, nicht anerkennen zu wollen, dass „Wert des Gesamtprodukte und Wert der Teillinien [Arbeitslohn, Profit und Rente – I. R.] beiderseite sozialer Natur sind“[48]. Marx behauptet gerade dies mit allem Nachdruck, und die Ansicht Stolzmanns, dass Marx den Wärt des Gesamtproduktes (nach Abzug des Teiles, der das konstante Kapital ersetzt) in einzelne Einkommensanteile auflöst, „eine natürliche Größe in heterogene, nämlich in soziale Größen auflöst“, ist unbegründet. Das Verhältnis zwischen dem Wert des Produkts und den Einkommen als Teilen des Wertes, wird von Marx als Verhältnis zwischen verschiedenen Größen sozialer Natur dargestellt. Die Unsinnigkeit der Lehre der Vulgärökonomen, dass das Produktionsmittel (oder ,“Kapital“ in ihrer Terminologie) den Profit, und die Erde die Rente erzeuge, beweist Marx gerade damit, dass Profit und Rente Teile des Produktenwertes sind, aber der Wert (als soziale Form des Produktes) nicht aus den materiellen Produktionsfaktoren, die an der Herstellung des betreffenden Produkts mitgewirkt haben, abgeleitet werden kann1)[49].

Seine Behauptung von dem gemischten natürlich-sozialen Charakter der Werttheorie von Marx sucht Stolzmann durch die Analyse der abstrakten, gesellschaftlich-notwendigen wertbildenden Arbeit zu bekräftigen. Er legt dar, dass der Begriff der abstrakten Arbeit nur „die Summierung von einer Million einzelner konkreter naturaler Arbeitsleistungen“ oder „technisches Zusammenwirken natürlicher Arbeitskraft“ bedeuten könne[50]. Mit anderen Worten, unter abstrakter Arbeit versteht Marx, nach der Meinung Stolzmanns, die Vereinigung der verschiedenen konkreten Arbeiten in ein System gesellschaftlicher Teilung der Arbeit – eine Tatsache, die, wie wir schon sahen, die materielle Seite des Produktionsprozesses betrifft, aber nicht seine soziale Form. Diese Vereinigung der Arbeit finde statt sowohl in der alt-indischen Gemeinwirtschaft als auch in der sozialistischen Gesellschaft. Deshalb sage der Begriff der abstrakten Arbeit (nicht davon zu reden, dass er bei Marx irrealen, phantastischen Charakter trägt) nichts über die soziale Form der Wirtschaft.

Stolzmanns Einwand beruht auf der bei den Kritikern von Marx und teilweise sogar bei seinen Anhängern verbreiteten unrichtigen Auffassung der abstrakten Arbeit. Die Charakteristik der Arbeit als abstrakt bedeutet nicht nur die Tatsache ihrer Vereinigung mit anderen Arbeitsarten in ein materiell zusammenhängendes Wirtschaftssystem, sondern zeigt uns auch die besondere soziale Form, in der dieser Zusammenhang in der Warengesellschaft zustande kommt In der alt-indischen Gemeinwirtschaft ist die gegebene Arbeit, z. B. Schmieden, in die gesellschaftliche Wirtschaft direkt eingeordnet als spezielle konkrete Arbeit, mit allen ihren besonderen Zügen, die sie von den anderen Arbeitsarten unterscheiden und deshalb ihre gegenseitige materielle Abhängigkeit und Ergänzung begründen. In der Warengesellschaft dagegen geht die Einbeziehung der gegebenen konkreten Arbeit in das allgemeine System der Volkswirtschaft nicht anders vor sich als durch den Austausch des Produktes der gegebenen Arbeit vermittelst eines spezifischen Produktes (Gold) oder eines allgemeinen Äquivalentes, das im Austauschakt mit allen Arbeitsprodukten abstrakte Kaufkraft besitzt. Der Akt des Austausches hat zum Resultat die Gleichsetzung des gegebenen Arbeitsproduktes (durch Geld) mit allen anderen Produkten und der betreffenden Arbeitsart mit jeder anderen Arbeitsart, d. h. die Verwandlung der konkreten Arbeit in abstrakte und gleichzeitig die Vereinigung der Gesamtheit aller konkreten Arbeitsarten in ein System der gesellschaftlichen Arbeitsteilung. Dass die Vereinigung der Arbeit der privaten Warenproduzenten den allseitigen Austausch ihrer Produkte und damit die Gleichsetzung jeder konkreten Arbeitsart mit allen anderen Arbeitsarten voraussetzt, charakterisiert die abstrakte Arbeit und zusammen damit die jetzige gegebene soziale Wirtschaftsform.

Richtiger mag auf den ersten Blick Stolzmanns Einwand gegen den Begriff der gesellschaftlich-notwendigen Arbeit sein, die, nach seiner Meinung, die „Verwendung der Arbeit nach ihrer durchschnittlichen Leistungskraft, nach dem Prinzip des kleinsten Mittels“ bedeutet[51] –, eine Tatsache, die wiederum der Wirtschaft als solcher, unabhängig von ihrer sozialen Form, eigen ist. Selbstverständlich verschwindet auch in der sozialistischen Gesellschaft nicht die verschiedene Produktivität gleicher Arbeitsaufwände in ein und demselben Industriezweig. Der Arbeitstag der verschiedenen Landarbeiter liefert eine ungleiche Quantität von Getreide, die von den persönlichen Eigenschaften der Arbeiter, dem Charakter der angewandten Produktionsmittel (wenn sie verschieden sind) und der Fruchtbarkeit der verschiedenen Landstücke abhängig ist Andrerseits bestimmt die Gesellschaft den bestimmten Durchschnittspreis (im Sinne der Durchschnittswertung, da vom „Preise“ im eigentlichen Sinne des Wortes in der sozialistischen Gesellschaft keine Rede sein kann) eines Pud Getreides unabhängig davon, wieviel individuell für das gegebene Pud Getreide aufgewandt ist Es scheint also, als ob der Begriff der gesellschaftlich-notwendigen Durchschnittsarbeit nicht nur für die Warengesellschaft sondern auch für die sozialistische gelte.

In Wirklichkeit jedoch hat der Begriff der gesellschaftlich-notwendigen Arbeit in der Marxschen Werttheorie einen anderen Sinn. Er bezeichnet nicht nur den Umstand, dass gleiche Exemplare einer gegebenen Ware bei ungleichem individuellen Arbeitsaufwand produziert sind, sondern auch den Umstand, dass die das Resultat des Ausgleiches ungleichen Arbeitsaufwandes bildende „gesellschaftlich-notwendige“ Arbeit sogleich auf jene Stufe gelangt, die dem Zustande des Gleichgewichtes zwischen dem gegebenen Produktionszweig und den anderen entspricht: das Schwanken des Marktpreises über oder unter den der gesellschaftlichnotwendigen Arbeitszeit entsprechenden Tauschwert ruft unvermeidlich Zustrom oder Abfluss der gesellschaftlichen Arbeit im gegebenen Zweig hervor. Dieser Begriff der gesellschaftlich-notwendigen Arbeit als die Größe des Warenwerts bestimmende und dem Zustande des Gleichgewichts zwischen den verschiedenen Produktionszweigen entsprechende ist mit der sozialen Form der Warenwirtschaft verknüpft, in der die Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit durch den Marktaustausch der Arbeitsprodukte als Werte erfolgt.

Hierin liegt der Grundunterschied zwischen Waren- und sozialistischer Wirtschaft. Setzen wir voraus, dass die sozialistische Gesellschaft den Preis des Getreides genau entsprechend der Durchschnittsarbeit der dafür aufgewendeten Arbeitsleistung, festsetzen will. Nach der Berechnung soll für das Pud Getreide diese Durchschnittsarbeit zwei Stunden betragen und ihr Preis zwei Rubel sein. Setzen wir voraus, dass diese Ziffer genau mit dem Tauschwert des Getreides in der Warengesellschaft zusammenfällt. Nichtsdestoweniger spielt die gesellschaftlich-notwendige Durchschnittsarbeit eine ganz andere Rolle, wenn sie den Tauschwert des Getreides in der Warengesellschaft reguliert, als wenn sie der Preisfestsetzung in der sozialistischen Gesellschaft zugrunde gelegt wird. Im ersten Falle reguliert sie durch den Warenwert den eigentlichen Prozess der Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit zwischen den verschiedenen Produktionszweigen, im letzteren Falle wird diese Verteilung der Arbeit planmäßig durch die gesellschaftlichen Organe herbeigeführt und nicht direkt mit der Änderung des festgesetzten Preises geändert. Die soziale Funktion der gesellschaftlich-notwendigen Arbeit als Mengenregulator der Produktion fehlt in der sozialistischen Gesellschaft – ähnlich wie auch die Arbeitsprodukte, obgleich auch dort für sie ein Preis festgesetzt wird, keinen „Wert“ haben. Deshalb ist die „Durchschnittsarbeit“, die in der sozialistischen Gesellschaft durch besondere Organe berechnet wird, von der „gesellschaftlich-notwendigen“ Arbeit, dem von Marx entwickelten Begriff, aufs gründlichste verschieden.

Die von uns oben gegebene Darlegung, dass die „Durchschnittsarbeit“ in der sozialistischen Gesellschaft ihrer Größe nach mit der „gesellschaftlich-notwendigen“ Arbeit in der Warengesellschaft (bei voller Gleichheit des technischen Produktionsprozesses in beiden Gesellschaften) zusammenfällt, ist wenig wahrscheinlich. Erstens ist es durchaus möglich, dass in der sozialistischen Gemeinwirtschaft bei der Preisfestsetzung eines gegebenen Produkts nicht der genaue mittlere Arbeitsaufwand für dessen Herstellung zur Richtschnur genommen wird oder dieses Kriterium mit anderen kombiniert wird. Für Getreide als Gegenstand erster Notwendigkeit kann eine Erniedrigung des Preises, sagen wir 1,50 Rubel statt 2 Rubel, für das Pud stattfinden. Lassen wir jedoch diesen Vorschlag beiseite. Lassen wir die sozialistische Gemeinwirtschaft den Preis genau nach dem mittleren Arbeitsaufwand bemessen. Nichtsdestoweniger kann in diesem Fall der Preis des Produkts in seiner Größe vom Tauschwert des Produkts in der Warengesellschaft abweichen.

Nehmen wir an, dass insgesamt 300 Pud Getreide erzielt werden, davon 100 Pud auf fruchtbarer Erde mit einem Aufwand von 1 Arbeitstag zur Erzielung eines Puds Getreide, 100 Pud auf Erde mittlerer Qualität mit einem Aufwand von 2 Arbeitstagen für das Pud Getreide und 100 Pud auf schlechter Erde mit einem Arbeitsaufwand von 3 Arbeitstagen für das Pud Getreide (die übrigen persönlichen und materiellen Produktionsfaktoren, außer der Qualität der Erde, seien gleich). Wenn nun die . sozialistische Gesellschaft es für notwendig halten wollte, die Preisfestsetzung des Getreides genau entsprechend der „Durchschnittsarbeit“, die für die Produktion aufgewendet wurde, durchzuführen, so müsste sie folgende Berechnung anstellen. Insgesamt sind 600 Arbeitstage verbraucht und 300 Pud Getreide erzielt worden. Der Preis eines jeden Puds ist gleich zwei Arbeitstagen oder zwei bestimmten Arbeitseinheiten, die wir „Rubel“ nennen. Bei den gleichen technischen Produktionsbedingungen steigt der Tauschwert des Getreides in der Warengesellschaft auf drei Rubel das Pud, d. h. auf das dem „gesellschaftlich-notwendigen“ Arbeitsaufwand für schlechtere Erde entsprechende Niveau. Der Gesamtpreis des ganzen Getreides wird gleich 900 Rubel, bei einem faktischen Aufwand von 600 Arbeitseinheiten. Der Wertüberschuss von 300 Rubeln, dem ein Arbeitsaufwand in dem gegebenen Produktionszweig (Landwirtschaft) nicht entspricht, bildet, nach Marx, den „falschen sozialen Wert“, den die Grundbesitzer in der Form der Differentialrente sich aneignen. „Es ist dies die Bestimmung durch den Marktwert, wie er sich auf Basis der kapitalistischen Produktionsweise vermittelst der Konkurrenz durchsetzt; diese erzeugt einen falschen sozialen Wert Dies entspringt aus dem Gesetz des Marktwerts, dem die Bodenprodukte unterworfen werden[52].“

Der „Arbeitswert“ des Produktes in der Warenwirtschaft fällt quantitativ nicht mit dessen Arbeitswert in der sozialistischen Gesellschaft zusammen[53], wie auch die „gesellschaftlich-notwendige“ Arbeit der ersteren qualitativ nicht mit der „Durchschnittsarbeit“ der letzteren zusammenfällt. Wir kommen so zu dem Schluss, dass in der sozialistischen Gesellschaft: 1. der Preis eines gegebenen Produktes überhaupt von dem für seine Erzeugung notwendigen Arbeitsaufwand abgelöst sein kann; dass 2. sogar bei einer vom Arbeitsaufwand ausgehenden Preisfestsetzung die quantitative Formel des Zusammenhangs zwischen der ersteren und der letzteren sich von der Formel des „Arbeitswertes“ in der Warengesellschaft unterscheidet, und dass 3. sogar bei quantitativem Zusammenfallen beider Formeln der qualitative Charakter dieses Zusammenhangs zwischen Arbeit und Preis (oder die soziale Funktion der „Durchschnittsarbeit“) verschieden sein wird. Deshalb dürfen wir nicht, wenn wir annehmen, dass das Organ der sozialistischen Wirtschaft mit der „Durchschnittsarbeit“ in dieser oder jener Form etwas zu tun haben muss, diese mit der „gesellschaftlich-notwendigen“ Arbeit verwechseln, die für die soziale Form der Warengesellschaft charakteristisch ist

Hiermit können wir die Analyse der kritischen Einwendungen Stolzmanns, die gegen die theoretische Seite der Marxschen Lehre gerichtet sind, abschließen, wobei wir seine übrigen Darlegungen, die den ethischen Wert und die praktische Möglichkeit der Verwirklichung des Sozialismus bestreiten, beiseite lassen. Die Versuche Stolzmanns eine scharfe Grenze zu ziehen zwischen der Werttheorie von Marx, die angeblich eine unzulässige Vermengung natürlicher und sozialer Elemente ist, und den übrigen Teilen des marxistischen Systems, die auf rein sozialer Grundlage aufgebaut sind (insbesondere seiner Distributionstheorie), sind radikal falsch[54].

Die Angriffe gegen Marx wegen seines Naturalismus haben ihre Quelle einerseits in der Ignorierung des „sozialen“ Charakters der Grundbegriffe der Marxschen Werttheorie (Wert, abstrakte Arbeit, gesellschaftlich-notwendige Arbeit), andrerseits in der falschen Konstruktion des Begriffes des „Sozialen“ bei Stolzmann (teleologischer Gesichtspunkt, sozialethische Kategorien, Trennung der sozialen Verhältnisse von den Produktivkräften). Die misslungene Kritik Stolzmanns ist im höchsten Grade bezeichnend. Es konnte scheinen, als ob gerade von Stolzmann, der sich für den konsequentesten Vertreter der soziologischen Methode hält, der Marxismus die schärfste und gefährlichste Kritik hätte erwarten können. In Wirklichkeit ist die Kritik Stolzmanns nicht nur nicht imstande, in irgendwelcher Hinsicht die Grundlagen der ökonomischen Theorien Marxens ins Wanken zu bringen, sondern auch unfähig, auch nur irgendwelche Verbesserungen vorzunehmen. Darin kann man mit vollem Recht ein vielversprechendes Symptom der reichen, im Marxismus liegenden Entwicklungsmöglichkeiten sehen. Sogar die am weitesten fortgeschrittenen Richtungen des bürgerlichen ökonomischen Denkens sind nicht einmal imstande gewesen, sich auf die Höhe der durch die Lehre von Marx eröffneten wissenschaftlichen Perspektiven zu erheben. In dieser Hinsicht sind auch die neuen Sprösslinge der soziologischen Richtung in der politischen Ökonomie, die unlängst teilweise unter dem unmittelbaren Einfluss von Marx [siehe Petri[55]], teilweise auch unabhängig von Marx[56] entstanden sind, keine Ausnahme.

Trotzdem seit dem Erscheinen des ersten Bandes des Kapitals mehr als ein halbes Jahrhundert verflossen ist, nimmt der Marxismus noch immer die vorderste Stellung im ökonomischen Denken ein. Er ist das bei weitem vollkommenste Instrument zur Erforschung der Gesetze der Gesellschaftsentwicklung.


Fussnoten

[1] In dem Buch Der Zweck in der Volkswirtschaft ist der Kritik der Marxschen Werttheorie ein spezieller, sehr großer Abschnitt von 150 Seiten gewidmet. Den Ausführungen dieses Kapitels werden wir uns vorwiegend weiter unten zuwenden.

[2] Der Zweck in der Volkswirtschaft, S. 528.

[3] l. c., S. 529.

[4] l. c., S. 531.

[5] l. c., S. 531.

[6] l. c., S. 531.

[7] l. c., S. 531-532.

[8] l. c., S. 533.

[9] Unter „rein-ökonomischen“ versteht Stolzmann hier die natürlich-technische Seite der ökonomischen Erscheinungen im Gegensatz zu den sozialen

[10] l. c., S. 536

[11] l. c., S. 539. Das Zitat ist von mir etwas geändert worden. I. R.

[12] l. c., S. 537.

[13] l. c, S. 539.

[14] l. c, S. 539.

[15] Marx, Kapital, Bd. I, S. 40.

[16] Der Zweck…, S. 540.

[17] l. c, S.541.

[18] l. c, S.541.

[19] l. c, S.541.

[20] l. c., S.542.

[21] l. c., S.542.

[22] Stolzmann sieht hier keine scharfe Grenze zwischen gesellschaftlich-notwendiger und abstrakter Arbeit. An anderer Stelle verwechselt er die verschiedenen Charakteristika der Arbeit wie abstrakt, gesellschaftlich-notwendig und einfach. (Siehe seine Grundzüge einer Philosophie der Wirtschaft, 1920, S. 105. 113.)

[23] Der Zweck…, S.571.

[24] l. c., S.543.

[25] l. c., S.543, 544.

[26] l. c., S.544.

[27] l. c., S.545.

[28] l. c., S.550-551.

[29] l. c., S.550.

[30] l. c., S.555.

[31] l. c., S.562.

[32] l. c., S.564.

[33] l. c., S.566.

[34] l. c., S.566.

[35] l. c., S.567, 595.

[36] l. c., S. 595, 596, 606.

[37] l. c., S. 574.

[38] l. c., S.566, 614.

[39] l. c., S.577.

[40] l. c., S.580, 581.

[41] l. c., S.627.

[42] Siehe Hilferding, Böhm-Bawerks Marx-Kritik. 1904.

[43] Kapital, Bd. I, 1. Kapitel. 2.

[44] Marx hält mehr als einmal Smith den Fehler vor, den Stolzmann jetzt Marx ankreiden will, nämlich den Versuch, die Umwandlung der konkreten Arbeit in wertbildenede Arbeit aus der einen Tatsache des Vorhandenseins der gesellschaftlichen, von deren spezifischen Warenform unabhängigen Arbeitsteilung zu erklären. (Siehe Kritik der politischen Ökonomie, 1907, S. 42, 43.)

[45] Kapital. Bd. I, Kapitel 1, 4.

[46] Kapital. Bd. I, Kapitel 1, 4.

[47] Der Zweck…, S. 540.

[48] l. c., S. 536 (Siehe oben).

[49] Siehe z.B. Kapital, Bd. III, Teil 2, S. 359, 360ff.

[50] Der Zweck…, S. 571 (Siehe oben).

[51] l. c., S. 542. (Siehe oben.)

[52] Kapital, Bd. 3, S. 141.

[53] Dort heißt Marx die Behauptung, „dass der Wert der Produkte derselbe bleibe bei Ersetzung der kapitalistischen Produktion durch [sozialistische – I. R.] Assoziation“, falsch (sogar bei gleicher Technik der Produktion).

[54] Diese Gegenüberstellung der „naturalistischen“ Werttheorie von Marx, seiner soziologischen Theorie des Kapitals, wird fast zu einer communis opinio doctorum in der bürgerlichen ökonomischen Literatur. Wir führen zwei aufs geradewohl herausgegriffene Beispiele an. Odenbreit, der Marx für einen Begründer der vergleichenden historischen Wirtschaftsforschung hält, macht in Bezug auf die Marxsche Werttheorie eine Ausnahme. „In der wichtigen Frage der Wertbildung findet sich bei Marx keine Anwendung der vergleichenden Methode.“ „Marx' Wertlehre, die Basis der Werttheorie, ist von Grund aus unhistorisch.“ (Odenbreit, Die vergleichende Wirtschaftstheorie bei Marx. 1919. S. 41, 90.)

Nach der Meinung Gottls geht Marx über den traditionellen Rahmen der politischen Ökonomie als einer „Wissenschaft von den Gütern“ weit hinaus. Da, wo er die Grundfragen der Wirtschaft und Gesellschaft streift, schränkt er jedoch den Umfang und die Schärfe seiner Kritik dadurch ein, dass er sie auf die Grundlage einer „Werthypothese“ und dadurch wieder in den engen Rahmen der „Wissenschaft von den Gütern“ zurückführt. (Gottl-Ottlilienfeld, Freiheit vom Worte, in: Hauptprobleme der Soziologie, Erinnerungsgabe für Max Weber, Bd. I, S. 108.)

[55] Petri, Der Soziale Gehalt der Marxschen Werttheorie. 1916.

[56] Siehe das Buch Amonns, Objekt und Hauptbegriffe der theoretischen Nationalökonomie. 1911. Es ist eines der schlagendsten Beispiele für jene wirklich phänomenale Unkenntnis der Lehre Marxens, die die Arbeiten der bürgerlichen Gelehrten häufig aufweisen. Amonn, der an vielen Stellen seines Buches ganz nahe an die Probleme des Marxismus herankommt, erwähnt nicht ein einziges Mal den Namen Marx und ist augenscheinlich sogar mit seiner Begriffsbestimmung des Kapitals, die die breiteste Bekanntheit and teilweise Anerkennung in den Kreisen der bürgerlichen Gelehrten sich erworben hat, nicht vertraut. Im äußersten Fall hält er für den Autor der soziologischen Theorie des Kapitals, Komorzynski, der nach Marx schrieb: „Der Gedanke, dass das Wesen des Kapitals in einem sozialen Machtverhältnis liege, findet sich schon bei Komorzynski.“ (Amonn, l. c., S. 410.) Andrerseits – welche Ironie des Schicksals – widmet Amonn sein Buch, das von dem Gebäude der subjektiven Methode der österreichischen Schule keinen Stein auf dem andern lässt, seinem Lehrer Prof. Philippovich und spricht seinen Dank den Hauptvertretern der genannten Schule, Böhm-Bawerk, Wieser und Philippovich aus.

Sombart bemerkte in seinem Artikel über das Buch Amonns, der im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 383 erschienen ist, bei diesem Anlass sehr richtig, dass die völlige Unkenntnis der bürgerlichen Gelehrten mit dem System von Marx das theoretische Niveau ihrer Arbeiten herabdrückt. Sie entdecken häufig neue Amerikas, die bereits längst entdeckt und von Marx besser erforscht sind.



Zuletzt aktualisiert am 11.03.2008