Parvus

Zum Maschinenbauerstreik

(11. Februar 1898)


Aus: Sächsische Arbeiter-Zeitung, Nr. 34 (11. Februar 1898).
Transkription u. HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.



Zum Maschinenbauerstreik sendet uns Genosse Bernstein auf unsere kritischen Bemerkungen über seinen Artikel im Vorwärts folgende
 

Erwiderung:

Die Sächsische Arbeiterzeitung äußert sich unterm 2. Februar sehr ungehalten über einen Artikel, den ich im Vorwärts über den Maschinenbauerstreik veröffentlicht habe. Die Arbeiterzeitung findet es sehr unrecht, dass ich die Forderungen der Arbeiter einer Kritik unterzogen und darauf hingewiesen habe, wie diese Forderungen in sich widerspruchsvoll und so wie gestellt, nach Lage der Dinge undurchführbar waren. Insbesondere meinen tadelnden Worte darüber, dass Blätter, die es besser hätten wissen sollen, die Arbeiter über die wahre Sachlage und die wirtschaftlichen Machtverhältnisse durch Schimpfereien auf die Fabrikanten hinweggetäuscht hätten, sind der Dresdner Kollegin Hochverrat am revolutionären Charakter der Sozialdemokratie. Ich will mich an dieser Stelle nicht mit der Sächsischen Arbeiterzeitung darüber streiten, was revolutionär ist oder nicht; lässt man die Forderungen der englischen Maschinenbauer, die ich kritisiert habe, als revolutionär gelten, so waren die Arbeiter, die Anfangs dieses Jahrhunderts die Maschinen zertrümmerten, revolutionär, und sind ebenso unsere Zünftler in ihrem Kampf gegen Großkaufleute und Arbeiterkonsumvereine revolutionär. Das war eben der hoffnungslose Widerspruch des Maschinenbauerkampfes, dass eine, wenn nicht revolutionäre, so doch jedenfalls progressive Forderung (Verkürzung der Wochenarbeitszeit) mit zunftmäßigen Forderungen verkuppelt wurde. Es war natürlich populärer, den Arbeitern fortgesetzt das Lied von der Schlechtigkeit der Fabrikanten zu singen, statt ihnen zu sagen, in diesem Punkte seid ihr im Irrtum, das könnt ihr nicht durchführen, ob es auch nützlicher für die Arbeiterbewegung war, ist eine andere Frage. Der Ausgang des Kampfes hat vielmehr gezeigt, wie weit man mit der von der Sächsischen Arbeiterzeitung im Gegensatz zu meinen Ausführungen als revolutionär betrachteten Politik kommt.

Ob der unglückliche Ausgang dieses Kampfes der sozialistischen Propaganda in England nennenswert von Nutzen sein wird, ist trotz aller in dieser Hinsicht gemachten Anstrengungen noch sehr zweifelhaft; gerade im Maschinenbauerverein erhebt sich vielmehr jetzt eine Reaktion, welche dessen „sozialistische Leitung“ für die Niederlage verantwortlich macht. Es ist eben ein großer Irrtum, zu glauben, dass Niederlagen unter allen Umständen revolutionär wirken. Die politische Arbeiterbewegung in England leidet noch heute an den Nachwirkungen der Niederlage des Chartismus, und wenn eines zu dieser Niederlage beigetragen hat, so war es der forcierte Radikalismus, in dem sich der von Affektationsproletariern geführte Flügel des Chartismus erging.

Ich habe über die Schimpfereien, die ich gerügt, keine „Tränen“ – oder „Harmonietränen“ – vergossen, wie mir die Sächs. Arbeiter-Zeitung nachsagt. Ich habe nur gezeigt, dass die Schimpfereien und Fälschungen ein sehr schlechter Ersatz für die innere Kraft waren, die der Bewegung fehlte, und dass eine starke Sache dergleichen Mittel nicht bedarf. Die Sächs. Arbeiter-Zeitung wird hoffentlich nicht die Alternative so stellen: Irreführende Schimpferei hier, Harmonieduselei da. Ich habe in England viele Streiks ausfechten gesehen und es ist bei keinem Süßholz geraspelt worden; das liegt überhaupt nicht im Charakter der Engländer. Aber zwischen derben Worten und Schimpfereien liegt noch ein großer Unterschied. Übrigens sei hier festgestellt, dass mein Tadel hinsichtlich der Schimpfereien sich weder gegen die Leiter des Maschinenbauerkampfes noch gegen die eigentliche Arbeiterpresse richtete. Die ersteren haben sich vielmehr meist bei aller Entschiedenheit des Auftretens durchaus sachlich verhalten und die Arbeiterpresse befand sich während des Kampfes in einer Zwangslage. Wenn ich von einer liebedienerischen Presse sprach, so hatte ich dabei eine gewisse kapitalistische Spekulationspresse im Auge, die des Abonnentenfanges halber Husarenberichte über den Stand des Kampfes ausgab. Schon vor Monaten habe ich mich im Vorwärts gegen das Verfahren dieser Presse gewendet und die Hoffnung ausgedrückt, dass sich die Gewerkschaftsführer durch jene Berichte nicht über die wirkliche Sachlage möchten hinwegtäuschen lassen. (Ich habe die Nummer nicht zur Hand, es muss im November gewesen sein.) Natürlich würde ich Liebedienerei auch in der Arbeiterpresse verurteilen. Aber ich muss anerkennen, dass die Justice, das Organ der „Sozialdemokratischen Föderation“, sich dem Kampf gegenüber, wenn auch von einem anderen Standpunkt aus wie ich, ebenso sympathisch-kritisch verhalten hat wie ich. „Wir erkannten von Anfang an,“ schreibt sie, „den verhängnisvollen Fehler, der gemacht worden, und wussten, dass die Arbeiter, außer durch politische Aktion, nicht gewinnen konnten.“ Da ein Erfolg durch politische Aktion augenblicklich in England ausgeschlossen ist, so musste, sage ich, die Gewerkschaft ihre Forderungen der Lage der Industrie entsprechend einrichten.

Die Sächs. Arbeiter-Zeitung sagt, sie habe die von der Frankf. Zeitung gebrachten Zitate meines Artikels deshalb in gleicher Gestalt und mit dem „blamablen Lob“ der Frankf. Zeitung reproduziert, um daran zu zeigen, was der Vorwärts – soll heißen der Verfasser – mit den Artikeln „den Arbeitern geleistet hat“. Ich erkläre darauf, dass ich die Verantwortung für die aus meinen Artikeln den Arbeitern erwachsenden Folgen gern auf mich nehme. Ich zweifle sehr, ob die gewerkschaftlichen Organisationen der Arbeiter bei der „revolutionären“ Methode, wie sie die Arbeiter-Zeitung meinen Ausführungen gegenüberstellt, auf einen grünen Zweig kommen würde. Mit bloßen Absichten gewinnt man keine gewerkschaftlichen Kämpfe. Wer in diesen sich lediglich an die äußerlichen Konjekturen hält, die intimeren Gesetze des Marktes aber fröhlich ignorieren zu können glaubt, der wird sich unter zehn Fällen neunmal eben solche Nackenschläge zuziehen, wie es jetzt die englischen Maschinenbauer getan. Auf die rein äußerlichen Konjekturen prophezeite John Burns zu Anfang des Kampfes: „In ein paar Wochen ist die Sache vorüber; wir gewinnen mit den Händen in den Hosentaschen.“ Ähnlich Tom Mann. Es kam aber anders, und wenn, dank dem Druck der öffentlichen Meinung Englands und – wie anerkannt werden muss – der verständigen Haltung eines Teils der Fabrikanten, die Gewerkschaft ehrenhafte Friedensbedingungen erzielt hat, so werden doch Jahre vergehen, bis sie sich von den Folgen der erlittenen Niederlage völlig erholt haben wird.

Schließlich mag es erlaubt sein, da die Arbeiter-Zeitung sich mir gegenüber so stolz auf das Ross der Anwaltschaft des proletarisch-revolutionären Standpunktes setzt, darauf zu verweisen, dass gleichzeitig mit der Nummer, in der sie mich wegen meines Artikels herunter hunzt, mir von einem, von Marxisten redigierten, Metallarbeiterorgan, ein Brief zuging, worin ich unter Bezugnahme auf jenen Vorwärts-Artikel um einen Aufsatz über dasselbe Thema ersucht wurde. „Ihren Artikel im Vorwärts haben wir mit großem Interesse gelesen“, heißt es da, „und teilen wir Ihren Standpunkt.“ So Sozialisten, die mitten im Gewerkschaftskampf stehen, und es war ja auch wohl ein im aktiven Kampf stehender sozialistischer Gewerkschaftsführer, der vor noch gar nicht langer Zeit gegen sinnloses Schimpfen auf die Fabrikanten protestierte, nicht um süßlicher „Harmonieduselei“ willen, sondern weil solches Schimpfen der Bewegung selbst schade. Um keinen Irrtum zu erwecken, bemerke ich hierbei, dass der vorerwähnte Brief, dessen Absender zu nennen ich mich nicht berechtigt fühle, gar nicht vom deutschen Metallarbeiterverband herrührt.


Zuletzt aktualisiert am 27. April 2024