Paul Mattick


Arbeitslosigkeit, Arbeitslosenfürsorge und Arbeitslosenbewegung in den Vereinigten Staaten

(1936)



Dieser Aufsatz wurde für die Zeitschrift für Sozialforschung geschrieben. Die Redaktion nahm das Manuskript an, veröffentlichte es jedoch nicht.
Erstmals veröffentlicht in dem Band Paul Mattick: Arbeitslosigkeit und Arbeitslosenbewegung in den USA 1929-1935, Frankfurt/M, 1969.
Transkription/HTML-Markierung: Thomas Schmidt für das Marxists’ Internet Archive.



Mit dem Einsetzen der Krise, seit 1929, stehen in Amerika erneut ökonomische Fragen im allgemeinen und das Arbeitslosenproblem im besonderen im Vordergrund des öffentlichen Interesses. Obwohl sich die amerikanische Sozialforschung der letzten fünfundzwanzig Jahre äußerst spezialisierte, hat sie dem Arbeitslosenproblem verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Der enge Zusammenhang der Arbeitslosenfrage mit den entscheidenden ökonomischen Gesellschaftsproblemen, obwohl eigentlich ein Grund für die intensivste Beschäftigung, hat gerade zu ihrer Vernachlässigung verleitet und erst der Druck der Verhältnisse selbst scheint hier eine langsame Wandlung herbeizuführen.

Schon einmal, in der Depression zu Beginn des Weltkrieges, waren Ansätze vorhanden, dem Arbeitslosenproblem gerecht zu werden. Die damalige große Arbeitslosigkeit reflektierte in einer bis dahin ungekannten Heftigkeit und Ausdehnung der um sie geführten Diskussionen. „Ohne Zweifel wird das Jahr 1915, den sich mit dem Arbeitslosenproblem beschäftigenden Forschern als Epoche machend gelten“, schrieb das American Yearbook (1916); „zum erstenmal erregte die Arbeitslosigkeit die Aufmerksamkeit der aktiv- und geistig führenden Persönlichkeiten Amerikas.“ Das in den langen Depressionsmonaten gewonnene Interesse an der Arbeitslosenfrage verflüchtete sich jedoch wieder in den darauf folgenden Kriegsjahren und geriet in der sich anschließenden langen Prosperitätsperiode völlig in Vergessenheit. Ja, noch lange nach dem Einsetzen der Weltkrise wurde sie in Fach- und Regierungskreisen weiter ignoriert. In der Auffassung des damaligen Präsidenten Hoover war sie „als ein sporadisch-irreguläres Phänomen, nur sporadisch-irregulärer Beachtung wert“, dem im Rahmen der lokalen Wohlfahrtspflege genügend Aufmerksamkeit zuteil wurde. Diese Nonchalance mußte bald dem Drucke der dauernd wachsenden Arbeitslosigkeit weichen, ein Druck, der gesellschaftliche Hilfs- und Ausgleichsmaßnahmen einfach erzwang.

Die spätere, sich auf einem bestimmten Krisenniveau vollziehende temporäre Stabilisierung der Wirtschaft erleichterte und ermöglichte eine bessere Regulierung der mit der Arbeitslosigkeit verbundenen gesellschaftlichen Maßnahmen. Die begonnene „Ordnung“ des Arbeitslosenproblems wurde durch die beschleunigt fortschreitende und politisch forcierte Zentralisation der ökonomischen Bestimmungsgewalt noch weiter gefördert. Aus denselben Ursachen heraus rückte das Arbeitslosenproblem in den Bereich der Planungsideen ein, und wurde bald erneut der größten Popularität teilhaftig. Literatur und Presse beschäftigten sich mit ihm in großzügiger Weise, doch ihre Ergebnisse blieben entweder so detailliert, oder waren so unverpflichtend allgemein gehalten, daß selbst heute noch eine skizzenhaft verbleibende umfassende Darstellung des Arbeitslosenproblems gerechtfertigt werden kann.

Der Grossteil der bisherigen Literatur über die Arbeitslosigkeit war ihrer Überwindung im Rahmen der heutigen Gesellschaftsverhältnisse gewidmet, und so notwendig zu Fehlschlüssen oder völliger Fruchtlosigkeit verurteilt. Diese Situation erklärt nicht nur den Mangel an befriedigenden Analysen, sondern auch unvermeidliche Schwächen jeder Darstellung des Arbeitslosenproblems, denn damit verbindet sich die gleichzeitige relative Interesselosigkeit des an die heutige Gesellschaftsform gebundenen offiziellen Wissenschaftsbetriebs, die sich auch in einem fühlbaren Mangel an wertvollem Forschungsmaterial ausdrückt, was neben den freiwillig abgesteckten Grenzen auch viele Schwächen der vorliegenden Arbeit zum Teil zu erklären vermag.

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Zuletzt aktualisiert am 3.3.2009