Paul Mattick


[Rezension von L. Corey „The Decline of American Capitalism“ & J. Strachey „The Nature of Capitalist Crisis“]

(1935)


Aus: Zeitschrift für Sozialforschung, Jg. 4, 1935, S. 475.
Transkription/HTML-Markierung: Thomas Schmidt für das Marxists’ Internet Archive.



Corey, Lewis, The Decline of American Capitalism. Covici-Friede. New York 1934. (622 S.; $ 4.-)

Strachey, John, The Nature of Capitalist Crisis. Covici-Friede, New York; Gollancz, London 1935. (400 S.; $ 3.— ; 10 s. 6 d.)


Corey versucht an Hand des reichhaltigen statistischen Materials Amerikas den Nachweis zu erbringen, dass die Marxsche Akkumulationstheorie in der konkreten Wirklichkeit der U. S. A. ihre Bestätigung findet.

C. ist der Überzeugung, die er statistisch zu stützen sich bemüht, dass das amerikanische Kapital sich in seiner Zerfallsperiode befinde. Gerade die neuesten Erscheinungen der monopolisierten Wirtschaft, wie die N. R. A. und die in ihr manifestierten staatskapitalistischen Tendenzen, drückten dies besonders krass aus. Die heutige Krise sei permanent. Dieser Hauptgedanke erschöpft nicht den Inhalt des Buches, das sich vielmehr mit fast allen Momenten der Marxschen ökonomischen Theorie beschäftigt, wobei, neben einzelnen Widersprüchen und Unklarheiten, viele gute Formulierungen gebracht werden. Die fundamentalen Widersprüche des Kapitalismus leitet C, wie früher Cunow, Luxemburg, Boudin und andere, in etwas modifizierter Form aus den Vorgängen in der Zirkulationssphäre ab. Der Antagonismus zwischen Produktion und Konsum, die Marktbeschränkungen, die Unmöglichkeit voller Mehrwertrealisierung u. a. erklären für G. den Profitmangel, der die Akkumulation zum Stillstand bringt. Zwar sagt C, dass die Krisen- und Zusammenbruchsgesetzlichkeit des Kapitals aus der Produktionssphäre abgeleitet werden müsse, doch gelingt ihm diese Aufgabe nicht. Sein Buch ist eine weitere Variation der vielen nicht stichhaltigen Unterkonsumtionstheorien. Von seinem falschen Ausgangspunkt aus ist es ihm denn auch unmöglich, den zyklischen Charakter der Krisen zu erklären. Die Aufschwungsperiode ist durch die Faktoren der kapitalistischen Ausdehnung gesichert, die die Akkumulation selbst sind. Ihre Abwesenheit bedeutet den Verfall. Während der Aufstiegsperiode gibt es Perioden grösserer und kleinerer Disproportionalität, was nach C. als Erklärung des zyklischen Auftretens der Krisen genügen muss. Er sieht nicht, dass die Grenzen des Kapitals nicht aus der Abwesenheit irgendwelcher (ihm gegenüberstehender) Expansionsfaktoren erklärt werden können, sondern dass die Abwesenheit dieser Faktoren in der Barriere des Kapitals selbst zu sehen ist. — Trotz einer theoretischen Schwächen gehört das Buch wegen seiner vielen wertvollen Einzelheiten zu den lesenswertesten Neuerscheinungen der ökonomischen Literatur.

Spezielleren theoretischen Problemen wendet sich das folgende Buch zu.

Strachey sieht in der Marxschen Akkumulationstheorie zugleich eine Krisen- und Zusammenbruchstheorie. Seiner Interpretation der Marxschen Krisenauffassung geht die Analyse und die Ablehnung verschiedener bürgerlicher Krisenauffassungen und der sich auf monetäre Mitteln beschränkenden Krisenlösungsvorschläge voraus. S. fasst sie als inflationistische und deflationistische Methoden in zwei Gruppen zusammen und illustriert sie an den Ideen von C. H. Douglas, Hobson, Irving Fischer, Hayeck und Robbins. Nach seiner Auffassung sind deren Theorien wissenschaftlich nicht stichhaltig, sie differenzieren sich auch nur in der Frage des Weges, der zur Wiederherstellung einer profitablen Wirtschaft führt. Will die eine Gruppe offene Lohnkürzungen, so die andere verdeckte durch Preissteigerungen, um die Profitrate zu erhöhen und damit die Akkumulation fortzusetzen. Weiterhin gibt S. einen skizzenhaft gehaltenen Abriss der Entwicklung der bürgerlichen Ökonomie, der ihn zu dem Resultat führt, dass jene nicht als Wissenschaft gelten könne. Der Warenfetischismus schlösse eine wirkliche gesellschaftliche Ökonomie aus, und dies zeige sich am deutlichsten in der offenen Verwerfung eines objektiven ökonomischen Masstabes durch die heutigen bürgerlichen Theoretiker. Dem folgt eine recht populäre Darstellung der Marxschen Wertlehre und der aus ihr abgeleiteten Kategorien. Der Abschnitt schliesst mit der Zurückweisung der Böhm-Bawerkschen Marxkritik ; der „grosse Widerspruch“, die Bildung der Durchschnittsprofitrate trotz der verschiedenen Kapitalzusammensetzungen, durchbricht nach S. nicht, bestätigt vielmehr die Marxsche Werttheorie.

S.s Krisenauffassung geht vom Gesetz der fallenden Profitrate aus. Für eine Zeitlang ist das Kapital trotz wachsender organischer Zusammensetzung imstande, sie auf lohnender Höhe zu halten. Von Zeit zu Zeit wird dies unmöglich und führt zu den zyklischen Krisen. Die Überproduktion des Kapitals setzt ein, wenn das letzte kritische Pfund Kapital die Profitrate so niederdrückt, dass die neue Kapitalmasse weniger als oder den gleichen Profit wie die alte bringt. Die Ausführungen S.s über das Verhältnis zwischen Profitrate, Profitmasse und Akkumulationsrate sind sehr verschwommen ; die wirkliche Ansicht des Verf. wird nicht klar. Den entscheidenden Widerspruch des kapitalistischen Systems sieht S. in dem Zwange des Kapitals, die Profitabilität durch die Beschränkung der Kaufkraft der Massen zu sichern, und der gleichzeitigen Notwendigkeit dauernder Markterweiterung. Die Löhne der Arbeiter sind an bestimmten Akkumulationspunkten zu hoch, die Profitrate fällt, die Krise setzt ein. Werden die Löhne jedoch gekürzt, so wird der Markt zerstört, die Profite können nicht, realisiert werden, die Krise setzt ebenfalls ein. Es gibt keinen Ausweg, die Krise ist permanent. Wie es dem Kapital unter solchen Bedingungen überhaupt gelang, eine Reihe von Krisen zu überwinden und sich einen gewaltigen Markt zu schaffen, wird in überzeugender Weise bei S. nicht ersichtlich. Ist nach Marx die Herabsetzung der Löhne unter den Wert der Arbeitskraft eines von vielen Krisenüberwindungsmomenten, so ist es nach S. das wesentlichste.


Zuletzt aktualisiert am 27.1.2009