Karl Kautsky

 

Über den Kommunismus der Natur

(1883)


Quelle: Die neue Zeit, 1. Jg. (1883), H. 1, S. 52-53.
Transkription u. HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


Kirchmann, J. H. v.
Ueber den Kommunismus der Natur
Heidelberg 1882. 3. Aufl.

Im Februar 1866 hielt Herr K., damals Vizepräsident beim Oberlandesgericht in Ratibor, im Berliner Arbeiterverein einen Vortrag über dieses Tema, der für ihn die Entsezung von seiner Stelle zur Folge hatte. Für den Vortrag war diese Diszsplinarstrafe natürlich eine gute Reklame, und so kommt es, daß er jezt in dritter Auflage erschienen ist, der sonst jedenfalls völlig unbeachtet geblieben wäre. Da der Titel und der Disziplinarprozeß auch heute noch geeignet sein könnten, Leser zu ziehen, wollen wir ein kurzes Resumé der Broschüre geben: eine vernichtendere Kritik derselben dürfte kaum möglich sein. Nachdem Herr K. in der Einleitung seine totale Unkenntnis des Sozialismus dargetan und gegenüber dem momentanen äußerlichen Erfolge der Agitation eines „geistreichen Mannes in Berlin“ (Lassalle!) die Schulze-Delitzsch’schen Genossenschaften in den Himmel erhoben hat, geht er darauf über, nachzuweisen, daß die Natur eine kommunistische Tendenz habe. Und zwar seien in der Natur drei komlmunistische Geseze geltend: 1) Ihre Kräfte sind für alle Menschen ohne Ansehen der Person gleich. 2) Der Mensch ist für das Glück um so empfänglicher, je weniger er hat. Was dem Armen „an äußeren Gütern abgeht, ersezt ihm vollständig seine gesteigerte Empfänglichkeit, sagt Herr K.,. und sezt auseinander, daß die Natur durch dieses kommunistische Gesez die wahre Gleichheit herstelle, ja, er fürchtet sogar, daß vermöge dieses Gesezes die Reichen viel unglücklicher seien, als die Armen. (!) Nach diesen Ausführungeu, die lebhaft an unsre Kinderfibeln erinnern, macht sich Herr K. daran, uns das dritte kommunistische Gesez der Natur aufzuweisen. Dasselbe gipfelt in nicht mehr und nicht weniger als – das Zweikindersystem, welches den Arbeitern erlauben soll, den Lohn beliebig zu erhöhen!

Man mag über das Zweikindersystem vom medizinischen und moralischen Standpunkt denken, wie man will, aber es als Mittel hinzustellen, den Lohn zu erhöhen, deutet auf eine wahrhaft antediluvianische Nationalökonomie.

Und vorsintflutlich, wie diese Nationalökonomie, erscheint uns die ganze Broschüre, ein Kuriosum, ebenso unbegreiflich, wie der Prozeß, den es hervorgerufen hat.

Karl Kautsky


Zuletzt aktualisiert am 3.1.2012