Rudolf Hilferding

Das Finanzkapital


Fünfter Abschnitt
Zur Wirtschaftspolitik des Finanzkapitals


XXIII. Kapitel
Das Finanzkapital und die Klassen


Wir haben gesehen, wie die Zusammenballung zu kapitalistischen Monopolen das Interesse des Kapitals an der Stärkung der Staatsmacht erweckt. Zugleich erwächst dem Kapital die Macht, die Staatsgewalt zu beherrschen, direkt durch die eigene ökonomische Macht, indirekt, indem es die Interessen anderer Klassen seinen eigenen unterordnet.

Die Entwicklung des Finanzkapitals ändert von Grund auf die wirtschaftliche und damit die politische Struktur der Gesellschaft. Die Einzelkapitalisten des Frühkapitalismus standen einander im Konkurrenzkampf feindlich entgegen. Dieser Gegensatz hinderte sie an gemeinsamen Aktionen wie auf anderem, so auch auf politischem Gebiet. Es kam hinzu, daß solche Wirksamkeit noch nicht von den Bedürfnissen der Klasse erfordert wurde, da das negative Verhalten zur Staatsmacht das industrielle Kapital nicht als kapitalistische Interessenvertretung auftreten ließ, sondern den einzelnen Kapitalisten als Staatsbürger. Denn die großen Fragen, die das Bürgertum bewegten, waren wesentlich Verfassungsfragen, die Aufrichtung des modernen Verfassungsstaates, also Fragen, die in gleicher Weise alle Bürger angingen und sie vereinten in dem gemeinsamen Kampfe gegen die Reaktion, gegen die Reste der feudalen und absolutistisch-bürokratischen Regierungsweise.

Das wurde anders, sobald der Sieg des Kapitalismus die Gegensätze innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft entfesselte. Gegen die Herrschaft des industriellen Kapitals empörte sich zunächst das Kleinbürgertum und die Arbeiterschaft. Beide griffen auf wirtschaftlichem Gebiet ein. Die Gewerbefreiheit erschien bedroht vom Kleinbürgertum, das zunftartige Bindungen verlangte, von dm Arbeitern, die die gesetzliche Regelung des Arbeitsvertrages forderten. Jetzt handelte es sich nicht mehr um den Staatsbürger, sondern um Fabrikanten und Arbeiter, Fabrikanten und Meister. Die politischen Parteien orientierten sich jetzt offen nach wirtschaftlichen Interessen, während diese früher hinter den Schlagworten von Reaktion, Liberalismus und Demokratie verborgen waren, unter denen die drei Klassen des Frühkapitalismus, die Grundrentner mit ihrem Anhang bei Hof, Bürokratie und Armee, die Bourgeoisie und das vereinigte Kleinbürgertum und Proletariat sich verborgen hatten. Im Kampfe um die Gewerbeordnung entstanden so die drei Gruppen wirtschaftlicher Verbände, die Industriellenverbände, Genossenschaften und Arbeiterorganisationen, die beiden ersteren mannigfach gefördert durch die Staatsgewalt, die sie in gewissen Funktionen zu gesetzlichen Verbänden umgestaltet. Während aber Genossenschaften und Gewerkschaften bald einheitlich orientiert waren, blieben die Unternehmerverbände gespalten durch den handelspolitischen Gegensatz. Dazu kam, daß das industrielle Kapital sich politisch im Gegensatz befand zum Handels- und Leihkapital. Das Handelskapital war viel eher einer Stärkung der Staatsmacht geneigt als das industrielle, da der Großhandel, besonders als Übersee- und namentlich als Kolonialhandel den staatlichen Schutz erstrebte und außerdem dem Hang nach Privilegien leicht nachgab. Das Leihkapital des Frühkapitalismus unterstützte die Staatsmacht, mit der es seine wichtigsten Geschäfte, die Staatsanleihen, zu erledigen hatte, und war von dem Drang nach Frieden und Ruhe, der das industrielle Kapital beseelte, völlig frei. Je größer die Finanzbedürfnisse der Staaten, desto größer sein Einfluß, desto häufiger die Anleihen und Finanztransaktionen. Auf diesen aber beruhte damals nicht nur der unmittelbare Gewinn. Sie waren auch das Rückgrat der Börsentransaktionen und außerdem ein wichtiges Mittel, das staatliche Privileg für die Banken zu erwerben. Ist doch das Notenprivileg der Bank von England zum Beispiel historisch eng verknüpft mit den Schuldverhältnissen des Staates an die Bank.

Die Kartellierung vereinigt die wirtschaftliche Macht und erhöht dadurch unmittelbar ihre politische Wirksamkeit. Sie vereinheitlicht aber auch zugleich die politischen Interessen des Kapitals und läßt die ganze Wucht der wirtschaftlichen Kraft direkt auf die Staatsmacht wirken. Sie vereinigt die Interessen alles Kapitals und tritt so gegenüber der Staatsmacht viel geschlossener auf als das zersplitterte industrielle Kapital des Zeitalters der freien Konkurrenz. Zugleich aber findet das Kapital auch bei den anderen Bevölkerungsklassen eine viel größere Unterstützungsbereitschaft.

Dies muß auf den ersten Anblick sonderbar anmuten; denn das Finanzkapital scheint zunächst zu den Interessen aller anderen Klassen in Gegensatz zu treten. Bildet doch, wie wir gesehen haben, der monopolistische Profit einen Abzug von dem Einkommen aller anderen Klassen. Der Kartellprofit auf Industrieprodukte verteuert der Landwirtschaft die Produktionsmittel und verringert die Konsumkraft ihres Einkommens. Die rasche Entwicklung der Industrie entzog der Landwirtschaft die Arbeitskräfte und schuf die chronische Leutenot auf dem Lande in Verbindung mit der technisch-wissenschaftlichen Umwälzung im landwirtschaftlichen Betrieb. Und dieser Gegensatz mußte um so schärfer empfunden werden, solange den Tendenzen des Finanzkapitals, die Preise der Industrieprodukte zu erhöhen, keine ähnliche Tendenz für die landwirtschaftlichen Produkte entsprach.

Der Beginn der kapitalistischen Entwicklung findet in der landwirtschaftlichen Bevölkerung entgegengesetzte Interessen. Die Industrie vernichtet den bäuerlichen Hausfleiß und wandelt die im wesentlichen sich selbst genügende bäuerliche Wirtschaft in ein rein landwirtschaftliches, auf den Absatz für den Markt angewiesenes Unternehmen um, eine Umwandlung, die für die Bauern mit vielen Opfern erkauft wird. Diese stehen daher der industriellen Entwicklung feindlich gegenüber. Aber die Bauernschaft allein ist in der modernen Gesellschaft eine wenig aktionsfähige Klasse. Ohne örtlichen Zusammenhang, von der städtischen Kultur isoliert, den Blick auf die engsten lokalen Interessen beschränkt, wird sie politisch aktionsfähig meist erst im Gefolge anderer Klassen. Zu Beginn kapitalistischer Entwicklung steht sie aber gerade im Gegensatz zu derjenigen Klasse, die die stärkste Aktionskraft auf dem Lande besitzt, zum großen Grundbesitz. Dieser ist an der industriellen Entfaltung unmittelbar interessiert. Ihm, der auf den Verkauf seiner Produkte angewiesen, schafft der Kapitalismus den großen inneren Markt und gibt ihm die Möglichkeit, die landwirtschaftlichen Industrien der Brennerei, Brauerei, Stärke- und Zuckerfabrikation usw. zu entwickeln. Dieses Interesse des Großgrundbesitzes ist für die Entwicklung des Kapitalismus von hoher Bedeutung, da sie ihm im Frühstadium seiner Entwicklung die Unterstützung des Großgrundbesitzes, damit aber auch die der Staatsmacht gewährleistet. Die Politik des Merkantilismus ist immer auch getragen von der Gutsherrschaft, dem kapitalistischen Umwandlungsprodukt der Grundherrschaft.

Die Weiterentwicklung des Kapitalismus sprengt sehr bald diese Interessengemeinschaft durch den Kampf gegen den Merkantilismus und seine Exekutive, die absolute Staatsmacht. Dieser Kampf richtet sich unmittelbar gegen den Grundbesitz, der diese Staatsmacht zu einem großen Teil beherrscht, die leitenden Stellen in Militär, Bürokratie und bei Hofe besetzt hält, durch die wirtschaftliche Exploitation der Staatsmacht sein Einkommen steigert und schließlich im Bereich des Gutsbezirkes unmittelbarer Träger der Staatsmacht ist. Nach der Besiegung des Absolutismus und Schaffung des modernen Staates verstärkt sich dieser Gegensatz; die Entwicklung der Industrie stärkt die politische Macht des Bürgertums und bedroht den Grundbesitz mit völliger politischer Depossedierung. Und zu dem politischen kommt die Verschärfung des ökonomischen Gegensatzes. Die Entwicklung der Industrie entvölkert das flache Land, produziert die Leutenot und wandelt schließlich das frühere Exportinteresse in ein Importinteresse um. Damit entsteht der handelspolitische Gegensatz, der in England mit der Niederlage des Grundbesitzes endet. Auf dem Kontinent aber hindert das gemeinsame Interesse am Schutzzoll die Entwicklung des Gegensatzes zur vollen Schärfe. Solange auf dem Kontinent die zurückgebliebene industrielle Entwicklung die große Landwirtschaft noch zum Export zwingt, ist auch hier der Großgrundbesitz innerhalb bestimmter Schranken industrie- und vor allem verkehrsfreundlich. Er ist freihändlerisch, und erst das Entstehen des Importinteresses bekehrt ihn zum Schutzzoll und bringt ihn wirtschaftspolitisch den schweren Industrien näher. Aber dieselbe industrielle Entwicklung, die ihn in Deutschland stärkt, die Preise der Agrarprodukte erhöht und die Grundrente steigert, schafft zugleich die Keime eines neuen Gegensatzes. Die Erstarkung der Industrie stärkt vor der Periode der Kartellierung ihre freihändlerischen, vertragsfreundlichen Tendenzen, und ihre Macht droht groß genug zu werden, um das Industrieinteresse an billigen Getreidepreisen durchzusetzen. Die industrielle Entwicklung wird so zu einer Gefahr für die Grundbesitzerinteressen. Diese wird noch gesteigert dadurch, daß dieselbe Entwicklung, die in Europa den Kontinent in einen Industriestaat verwandelt, in Amerika die landwirtschaftliche Konkurrenz auslöst, die die europäische Landwirtschaft mit einem akuten Sturz der Getreidepreise, der Rente und des Bodenpreises bedroht. Die Entwicklung des Finanzkapitals überbrückt durch die Funktionswandlung des Schutzzolles diesen Gegensatz und stellt eine neue Interessengemeinschaft des Großgrundbesitzes und der schweren kartellierten Industrien her. Der Landwirtschaft ist jetzt das Preisniveau gesichert, und die weitere Entfaltung der Industrie muß dieses Preisniveau steigern. Nicht mehr der Gegensatz zur Industrie wird jetzt die Hauptsorge des Grundbesitzes, sondern die Arbeiterfrage. Die Niederhaltung der Ansprüche der Arbeiter wird jetzt seine dringendste politische Sorge, und er tritt damit zugleich in scharfen Gegensatz zu den Bestrebungen der industriellen Arbeiter, ihre Lage zu verbessern, weil jede solche Besserung das Festhalten der ländlichen Arbeitskräfte erschwert. So treibt die gemeinsame Feindschaft gegen die Arbeiterbewegung diese beiden mächtigsten Klassen zusammen.

Zugleich wächst die Macht des Großgrundbesitzes durch das Schwinden oder zum mindesten durch die starke Abschwächung des Gegensatzes zum kleinen Grundbesitz. Der alte historische Gegensatz ist durch Aufhebung der Grundlasten längst beseitigt. Die Periode des Sinkens der Getreidepreise sowie die Schwierigkeiten der Arbeiterfrage haben die Expansion des großen Grundbesitzes auf Kosten des kleinen fast ganz zum Stillstand gebracht. Anderseits hat der gemeinsame Kampf um die landwirtschaftlichen Zölle die großen und kleinen Grundbesitzer vereinigt. Daß der kleine Betrieb viel mehr an Schutz gegen Vieh- und Fleischimport interessiert ist als der große, hinderte natürlich keineswegs ein Zusammengehen, da ja der Zoll nur im gemeinsamen Kampf erreicht werden konnte. Dazu kommt die spezifische Wirkung landwirtschaftlicher Zölle auf den Bodenpreis. Die Steigerung des Bodenpreises ist zwar für die Landwirtschaft als solche eher schädlich, aber für jeden landwirtschaftlichen Besitzer sehr nützlich. Der gemeinsame Kampf um die Handelspolitik verband also alle Schichten des landwirtschaftlichen Besitzes in Ländern mit landwirtschaftlichem Importbedürfnis und gab so dem Finanzkapital die Unterstützung des flachen Landes. Der mittlere und kleine Besitz beteiligte sich an diesen Kämpfen um so mehr, als die rasche Entwicklung des Genossenschaftswesens den Absatz für den Markt jeder Bauernwirtschaft vergrößerte, die Produktion für den Eigenbedarf verringerte. Zugleich erhielt der größere Besitz in diesen Genossenschaften sehr leicht die Führung, da einerseits kein stärkerer Interessengegensatz vorlag, anderseits gerade die größeren Besitzer über die nötige Erfahrung, Intelligenz und Autorität verfügten. Dies stärkte wieder die führende Rolle des größeren Besitzers auf dem flachen Lande und führte dazu, daß die Politik des flachen Landes immer mehr in die Hände des größeren Besitzes überging.

Zugleich führte die Entwicklung dahin, daß die Besitzinteressen immer mehr vereinheitlicht werden, weil die Einkommensquellen immer mannigfaltiger werden. Die Zollpolitik hat das Einkommen an Grundrente rasch vermehrt, und dies insbesondere im letzten Jahrzehnt, in welchem die Intensität der überseeischen landwirtschaftlichen Konkurrenz sich verringerte, teils durch die rasche industrielle Entfaltung der Vereinigten Staaten von Amerika [1], teils dadurch, daß die landwirtschaftliche Produktion der mittel- und südamerikanischen Staaten trotz ihrer raschen Entwicklung mit der Steigerung der Nachfrage nicht gleichen Schritt hält. Die Steigerung der Grundrente aber bedeutete, daß der größere Grundbesitz Einkommenüberschuß zur Verfügung hatte; ihn in Ausdehnung der landwirtschaftlichen Produktion zu verwenden, begegnete aber Schwierigkeiten, da namentlich die Erweiterung der Grundfläche in der Besitzverteilung auf starke Hindernisse stößt. Diese werden überwunden einmal, wenn die Tendenz des Steigens der Getreidepreise stark und andauernd ist und daher auch einen höheren Bodenpreis als angemessen erscheinen läßt, dann aber, und das ist ein zweites wichtiges Moment, wenn der Großgrundbesitzer auf eine Bauernschaft stößt, die verelendet ist und sich gegen den Auskauf nicht wehren kann. Nun war aber die Periode von der Mitte der siebziger Jahre bis zur Mitte des ersten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts der Bauernschaft günstig gewesen. Die überseeische Konkurrenz hatte mit voller Wucht gerade den großen Getreide bauenden und extensive Viehzucht treibenden Großgrundbesitz getroffen, den auch die Leutenot am meisten benachteiligte, während die starke Steigerung der städtischen Nachfrage nach den Hauptprodukten des kleineren Betriebes, Milch, Fleisch, Gemüse, Obst usw., und die geringere Bedeutung der Arbeiterfrage den mittleren und kleinen Besitz begünstigte. Die Tendenz, den Bodenbesitz zu erweitern, die für den Großbetrieb erst dann mit voller Stärke einsetzen konnte, als die Tendenz zum Sinken der Getreidepreise der entgegengesetzten wich, stieß also auf den Widerstand eines kräftigen Mittel- und Kleinbesitzes, dessen Hauptprodukte gleichfalls die steigende Preistendenz bewahrten. So mußte dieser Einkommenüberschuß seine Verwendung suchen vor allem in profitabler Anlage in der Industrie. Dazu drängte auch der Umstand, daß die seit 1895 einsetzende stürmische Hochkonjunkturperiode die Profitrate in der Industrie erhöhte und sie jedenfalls stark über die der Landwirtschaft steigerte. Diese Verwendungsmöglichkeit war aber um so leichter, da die Entwicklung des Aktienwesens für solche Anlagen aus anderen Sphären die geeignete Form geschaffen, die Konzentration und Konsolidierung der großen Industrien auch das Risiko für den Außenstehenden sehr erleichtert hatte. Dazu kam die rasche Entwicklung sowohl der eigentlich ländlichen Industrien und ihre durch die Staatsmacht (Steuergesetzgebung) geförderte Entwicklung zum Monopol als auch die rasche Entwicklung von Industrien mit dem Standort auf dem flachen Lande und schließlich gerade für die größten Grundbesitzer die aus alter Zeit herrührende Verbindung von landwirtschaftlichem mit Bergwerkbesitz. Dies alles wandelte die Klasse des Großgrundbesitzes um aus einer Klasse, deren Einkommen aus Grundrente fließt, in eine solche, deren Ein kommen daneben und in wachsendem Maße aus industriellem Profit, aus Anteilnahme an dem Gewinn des „mobilen Kapitals“ fließt. [2]

Auf der anderen Seite wuchs das Interesse des Finanzkapitals an dem Hypothekengeschäft. Für dessen Ausdehnung aber ist caeteris paribus entscheidend die Höhe des Bodenpreises. Je höher der Bodenpreis, desto größer kann die hypothekarische Verschuldung werden. Die Steigerung der landwirtschaftlichen Zölle wurde so zu einem wichtigen Interesse eines nicht unbedeutenden Teiles des Bankgeschäftes. Zugleich boten die erhöhten Einnahmen der Grundeigentümer und Pächter den Anreiz zu neuer Kapitalanlage in der Landwirtschaft, zur Steigerung der Intensität den Betriebes und damit wieder zu vermehrter Aufnahme von Betriebsmitteln, damit aber wieder zur Ausdehnung dieser Anlagesphäre des Bankkapitals.

Auf der anderen Seite trieb der Drang nach Erhöhung ihrer sozialen Stellung städtische Kapitalisten zum Erwerb von Grundbesitz oder – auch hier finden wir das Prinzip der Personalunion – zur Verbindung mit dem großen Grundeigentum durch Einheirat, der beliebten Form sozialer Durchdringung und Abwehr von Besitzzersplitterung.

So entsteht durch die Trennung der Funktion des Eigentums von der Leitung der Produktion, wie sie das Aktienwesen bedeutet, die Möglichkeit und mit der Steigerung der Grundrente auf der einen, der Steigerung industriellen Extraprofits aüf der anderen Seite die Wirklichkeit einer Solidarisierung der Besitzinteressen. Der „Reichtum“ ist nicht mehr differenziert nach seinen Einnahmequellen, nach seiner Entstehung aus Profit oder Rente, sondern er fließt jetzt aus der Anteilnahme an allen Teilen, in die der von der Arbeiterklasse erzeugte Mehrwert zerfällt.

Die Verbindung mit dem Großgrundbesitz aber stärkt die Macht des Finanzkapitals zur Beherrschung der Staatsmacht außerordentlich. Mit dem Großgrundbesitz gewinnt es die führende Schicht und damit in den meisten Fragen das flache Land überhaupt. Zwar ist diese Unterstützung keine bedingungslose und sicher eine kostspielige. Aber die Kosten, die in Gestalt der Erhöhung der landwirtschaftlichen Produkte gezahlt werden müssen, werden leicht hereingebracht durch die Extraprofite, welche die Beherrschung der Staatsmacht und damit die Durchsetzung der imperialistischen Politik dem Finanzkapital verschafft, für das die Beherrschung der Staatsmacht conditio sine qua non ist. Mit der Unterstützung des großen Grundbesitzes sichert es sich zugleich die Klasse, die zu einem großen Teil die höchsten und einflußreichsten Ämter besetzt, die Herrschaft über die Bürokratie und das Militär ausübt. Zugleich bedeutet der Imperialismus Stärkung der Staatsmacht, Vermehrung des Militärs und der Marine und der Bürokratie überhaupt und stärkt auch dadurch die Interessensolidarität des Finanzkapitals mit dem Großgrundbesitz.

Hat so das Finanzkapital in seinem Streben, die Staatsmacht zu beherrschen, die Unterstützung der maßgebenden Schicht des flachen Landes erhalten, so ist auch die Entwicklung der Klassengegensätze innerhalb der gewerblichen Produzenten diesem Streben vorerst förderlich gewesen.

Das Finanzkapital erscheint zunächst im Gegensatz zu dem kleinen und mittleren Kapital. Wir haben gesehen, daß der Kartellprofit einen Abzug bildet von dem Profit der nichtkartellierten Industrie. Diese also hat das Interesse, der Kartellierung entgegenzuwirken. Aber dieses Interesse ist durch andere Interessen durchkreuzt. Soweit es sich um nicht oder noch nicht exportfähige Industrien handelt, vereinigt diese Industrien das gemeinsame und nur gemeinsam durchzusetzende Schutzzollinteresse mit der kartellierten Industrie, der mächtigsten Vorkämpferin für den Schutzzoll. Dann aber bedeutet ja die Bildung eines Kartells die Beschleunigung der Monopolisierungstendenzen in den anderen. Gerade die mächtigsten und konkurrenzfähigsten Kapitalisten der noch nicht kartellierten Industrien begrüßen die Bildung von Kartellen, die die Konzentration in ihrer eigenen Industrie fördern und damit ihre Kartellfähigkeit beschleunigen muß. Sie sucht die Gegenwehr gegen das Kartell der anderen in der Schaffung des eigenen und keineswegs in dem Kampf um den Freihandel; denn nicht der Freihandel, sondern die Ausnützungsmöglichkeit des Schutzzolls durch ein eigenes Kartell ist ihr Streben.

Dazu kommt, daß auch unter den mittleren und kleineren Kapitalisten die Fälle indirekter Abhängigkeit vom Kapital sich mehren. Wir haben gesehen, wie das im größten Maßstab bei dem kapitalistischen Handel der Fall ist. Das bringt zwar einen Gegensatz mit sich, solange der Prozeß noch in seinem Werden ist. Ist er aber erst einmal vollzogen, so werden gerade diese Schichten in ihren Interessen solidarisch mit dem Kartell. Die Händler, die heute die Agenten des Kohlensyndikats oder der Spirituszentrale sind, haben nur mehr das Interesse ein der Stärkung des Syndikats, das ihnen die Konkurrenz der Outsider vom Halse hält, und an seiner Ausdehnung, die ihren Umsatz vergrößert. Aber auch die zahlreichen und sich mehrenden Fälle von indirekter Abhängigkeit von Industriellen, die von einem Warenhaus, einem großen Industriekonzern usw. beschäftigt werden, bringen das gleiche zuwege, wie ja die Ausdehnung der Kartellierung überhaupt die Gleichheit der Interessen alles Kapitalbesitzes bedeutet. In derselben Richtung wirkt die Beteiligung der kleineren und mittleren Kapitalisten an der großen Industrie. Durch das Aktienwesen ermöglicht, wird der auch in anderen Industriezweigen akkumulierte Profit zu einem Teil in den schweren Industrien angelegt, weil hier einmal die Entwicklung, die die relativ schnellere Ausgestaltung der Produktion der Produktionsmittel fordert, am raschesten vor sich geht und die Kartellierung am ausgebildetsten, damit aber auch die Profitrate am höchsten ist.

Schließlich bedeutet die Politik des Finanzkapitals die energischste Expansion und die beständige Jagd nach neuen Anlagesphären und neuen Absatzmärkten. Je rascher sich aber der Kapitalismus erweitert, desto länger die Prosperitätsepoche, desto kürzer die Krise. Expansion ist das gemeinsame Interesse alles Kapitals, und im Zeitalter der Schutzzölle ist sie nur möglich als imperialistische Expansion. Es kommt hinzu, daß je länger die Prosperität, desto geringer fühlbar die Konkurrenz des Kapitals im eigenen Lande, desto geringer die Gefahr für die kleineren Kapitalisten, der Konkurrenz der großen zu erliegen. Das gilt für die kleineren Kapitalisten aller Industrien, auch der kartellierten. Sind es ja gerade die Zeiten der Depression, die für den Bestand der Kartelle am gefährlichsten sind, wie umgekehrt die Depression mit ihrem verschärften Konkurrenzkampf im Innern, mit ihren Massen brachliegenden Kapitals die Zeit ist, wo der Trieb nach neuen Märkten am stärksten ist.

Nachdem die Marxsche Konzentrationslehre jahrzehntelang bekämpft worden ist, ist sie heute ein Gemeinplatz geworden. Der Rückgang des gewerblichen Mittelstandes gilt als unaufhaltsam. Was uns aber hier interessiert, ist weniger der zahlenmäßige Rückgang, der aus der Vernichtung des Kleinbetriebes entsteht, als die Strukturänderung, die in den Kleinbetrieben des Gewerbes und des Handels durch die moderne kapitalistische Entwicklung erzeugt worden ist. Ein großer Teil der Kleinbetriebe sind Hilfsbetriebe von Großbetrieben, an deren Ausdehnung sie daher interessiert sind. Das Reparaturgewerbe der Städte, die Installationsarbeit usw. ist bedingt durch die große fabrikmäßige Produktion, die sich der Flickarbeit noch nicht bemächtigt hat. Der Feind der Reparaturgeschäfte aller Art ist nicht die Fabrik, sondern das Handwerk, das alle diese Arbeiten gleichfalls besorgt hat. Diese Schichten stehen also im Gegensatz zur Arbeiterschaft, aber nicht zur Großindustrie. Ein noch viel größerer Teil der Kleinbetriebe ist aber überhaupt nur scheinbar selbständig; in Wirklichkeit sind sie in „indirekte Abhängigkeit vom Kapital“ (Sombart) geraten und damit „kapitalshörig“ (Otto Bauer) geworden. Sie sind eine abnehmende Schicht von geringer Widerstandsfähigkeit und mangelnder Organisationsfähigkeit, völlig abhängig von kapitalistischen Großunternehmungen, deren Agenten sie sind. Hierher gehört zum Beispiel das Heer der kleinen Wirte, die nichts sind als Verkaufsagenten von Brauereien, die Inhaber von Schuhwarengeschäften, die von einer Schuhfabrik eingerichtet sind, usw. Dahin gehören ebenso die zahlreichen scheinbar selbständigen Tischlermeister, die für das Möbelmagazin, die Schneidermeister, die für den Konfektionär, usw. arbeiten. Näher braucht auf diese Verhältnisse um so weniger eingegangen zu werden, da sie von Sombart in seinem Modernen Kapitalismus ausführlich und treffend geschildert sind.

Was aber von Bedeutung ist, ist dies, daß zugleich mit dieser Entwicklung eine andere politische Stellungnahme dieser Schichten gegeben ist. Der Interessenkampf zwischen Kleinbetrieb und Großbetrieb, wie er zu Beginn des Kapitalismus als Kampf des Handwerks gegen die kapitalistische Unternehmung erscheint, ist im wesentlichen entschieden. Dieser Kampf hatte den alten Mittelstand in eine antikapitalistische Haltung hineingetrieben. Durch Bekämpfung der Gewerbefreiheit, durch Fesselung der großkapitalistischen Unternehmungen suchte der Mittelstand seine Niederlage hinauszuschieben. Die Gesetzgebung wurde angerufen, um durch Handwerkerschutz, Wiedereinführung der Innungen, Lehrzeitfestsetzungen, durch Differenzierung der Steuergesetzgebung usw. die Lebensdauer des Mittelstandes zu verlängern. In diesem Kampf gegen das Großkapital fand der Mittelstand die Unterstützung der ländlichen Klassen, die in jener Zeit ebenfalls antikapitalistischen Tendenzen ergeben waren. Er stieß auf die Feindschaft der Arbeiterklasse, die in der Einschränkung der Produktivität eine Bedrohung ihrer Lebensinteressen sehen mußte.

Wesentlich anders ist die Stellung des jetzt existierenden Kleinbetriebes. Der Konkurrenzkampf ist hier im wesentlichen ausgefochten, sofern es sich um Konkurrenz zwischen Kapital und Handwerk handelt. Der Kampf um die Konzentration spielt sich vielmehr ab innerhalb der kapitalistischen Sphäre selbst als Kampf zwischen kleinen und mittleren Betrieben gegen den Riesenbetrieb. Die kleinen Betriebe sind heute im wesentlichen nur Adnexe von Großunternehmungen; auch wo ihre Selbständigkeit nicht bloß fiktiv ist, sind sie nur Hilfsunternehmungen großer Betriebe; so die Installationsgeschäfte der Beleuchtungsbranchen, die modernen großstädtischen Geschäfte, die Fabrikprodukte vertreiben, usw. Sie alle kämpfen keinen Konkurrenzkampf gegen die Großindustrie, sind vielmehr an deren größtmöglicher Ausdehnung interessiert, deren Geschäfte sie besorgen als Reparatur- oder Hilfsgewerbe, als Händler oder Agenten. Das schließt nicht aus, daß sie untereinander konkurrieren, daß die Konzentrationsbewegung auch unter ihnen wirksam ist. Aber dieser Kampf löst keine antikapitalistische Haltung im allgemeinen mehr aus; vielmehr sehen sie ihr Heil nur in der rascheren Entwicklung des Kapitalismus, deren Produkt sie selbst sind und die ihnen das Beschäftigungsfeld erweitert. Dagegen geraten sie in immer schärferen Gegensatz zur Arbeiterklasse, sofern sie Lohnarbeiter beschäftigen, da ja die Macht der Arbeiterorganisation gerade in den kleinen Betrieben am größten ist.

Aber selbst in jenen Schichten, wo der Kleinbetrieb noch über wiegt, wie zum Beispiel im Baugewerbe, verliert der Gegensatz zum Großkapital seine Schärfe. Nicht nur weil auch diese Unternehmer, die auf den Kredit der Banken angewiesen sind, durchaus mit kapitalistischem Geist erfüllt sind, nicht nur weil ihr Gegensatz zu den Arbeitern immer intensiver wird, sondern auch weil sie, wo sie spezifische Forderungen vertreten, immer weniger Widerstand, häufig sogar Unterstützung gerade beim größten Kapital finden. Der Kampf für und gegen die Gewerbefreiheit war ein Kampf, der mit besonderer Intensität zwischen den Handwerksmeistern und den kleinen und mittleren Fabrikanten der Konsummittelindustrien geführt wurde. Schneider, Schuster, Stellmacher, Bauhandwerker waren die Vorkämpfer auf der einen, Textilfabrikanten, Konfektionäre usw. auf der anderen Seite. Dagegen trifft der Handwerkerschutz heute, wo der Kampf in allem Wesentlichen entschieden ist, auf keine Lebensinteressen gerade der entwickeltsten kapitalistischen Sphären. Dem Kohlensyndikat, dem Stahlwerksverband, der Elektrizitäts- und chemischen Industrie sind die Mittelstandsforderungen, wie sie heute vertreten werden, ziemlich gleichgültig. Die klein- und mittelkapitalistischen Interessen, die dadurch etwa leiden, sind nicht oder wenigstens nicht unmittelbar die ihrigen. Dagegen sind die Vertreter dieser Forderungen gerade die heftigsten und erbittertsten Gegner der Arbeiterforderungen. In diesen Sphären der Kleinproduktion herrscht die erbittertste Konkurrenz, ist die Profitrate am niedrigsten. Jede neue Sozialreform, jeder gewerkschaftliche Erfolg macht einer Reihe dieser Existenzen den Garaus. Hier finden die Arbeiter ihre wütendsten Gegner, hier aber auch das Großkapital und das Großrentnertum ihre beste Schutztruppe. [3]

Dasselbe Interesse sichert aber dem Mittelstand auch die Unterstützung der ländlichen Klasse, und so schwindet der alte Interessengegensatz zwischen Bourgeoisie und Kleinbürgertum, und dieses wird zu einer politischen Schutztruppe des Großkapitals. Daran ändert nichts, daß auch die Erfüllung der Mittelstandsforderungen an der Lage des Mittelstandes nichts besserte. Die Errichtung von staatlichen Zwangsorganisationen des Kleingewerbes hat überall Fiasko gemacht. Wo das Kleingewerbe auch existenzfähig ist, sind die Genossenschaften und Innungen, wie in den Nahrungsmittelgewerben der Großstädte, zu einer Art von Kartellen geworden, die gemeinsam die Konsumenten zu plündern suchen, wie in der Fleischerei und Bäckerei. Oder sie sind Arbeitgeberverbände, sei es direkt, sei es, indem die Innungsmitglieder korporativ einer separaten, innerlich von der Innung abhängigen Arbeitgebervereinigung beitreten. [4]

Aber gerade die Unmöglichkeit, eigene ökonomische Forderungen von Bedeutung im Gegensatz zu dem alten Handwerk vertreten zu können, macht den Mittelstand zu selbständiger Politik unfähig, macht diese Schwanzpolitik zur Notwendigkeit. Ohne die Möglichkeit eigener Klassenpolitik wird er zur Beute aller Demagogie, wenn sie nur seiner Feindschaft gegen die Arbeiterklasse Rechnung trägt. Aus dem ökonomischen Gegner der Arbeiter wird er ihr politischer Gegner, sieht er in der politischen Freiheit, die er selbst nicht mehr ausnützen kann, eine Vorschubleistung für die Stärkung der politischen und damit auch der ökonomischen Macht der Arbeiterklasse. Er wird politisch reaktionär, und je kleiner sein Haus, desto größeren Wert legt er darauf, Herr im Hause zu bleiben. Er ruft nach der starken Hand auch in der Regierung und ist bereit, jede Gewaltpolitik zu unterstützen, wenn sie sich gegen die Arbeiter kehrt. So wird er zum begeisterten Förderer der starken Regierungsmacht, schwärmt für Militarismus und Marinismus und für eine autoritäre Bürokratie. Damit besorgt er die Geschäfte der imperialistischen Klassen und wird auch darin zu ihrem wertvollsten Bundesgenossen. Der Imperialismus selbst aber gibt ihm eine neue Ideologie; von der raschen Ausdehnung des Kapitals erhofft er auch für sich besseren Gang seiner Geschäfte, Vermehrung seiner Erwerbsgelegenheiten, vermehrte Kaufkraft seiner Kunden, und so wird er ein begeisterter Mitläufer der imperialistischen Parteien. Zugleich ist er auch den Mitteln der Wahlbeeinflussung, vor allem dem geschäftlichen Boykott, am zugänglichsten, und seine Schwäche macht ihn auch politisch zu einem geeigneten Ausbeutungsobjekt.

Freilich, er wird bedenklich, wenn ihm die Kostenrechnung präsentiert wird, und die Harmonie zwischen ihm und dem Großkapital ist eine Zeitlang gestört. Aber die Steuern werden zum größten Teil von den Arbeitern aufgebracht; und treffen auch ihn die indirekten Steuern stärker als das Großkapital, so ist doch seine Widerstandskraft zu gering, um den Bund zu lösen. Es ist nur ein geringer Teil des Mittelstandes, der sich von der Gefolgschaft der Bourgeoisie loslöst und sich dem Proletariat anschließt. Abgesehen von den scheinbar Selbständigen, Alleinbetrieblern, die in Wirklichkeit Hausindustrielle sind, gehören jene meist städtischen Schichten des Kleinhandels hierher, die, auf Arbeiterkunden angewiesen, aus Geschäftsrücksichten oder auch durch den ständigen Verkehr mit den Arbeitern für deren Anschauungen gewonnen, sich der Arbeiterpartei anschließen.

Eine ganz andere Stellung nehmen jene Schichten ein, die man in neuerer Zeit nach schlechter Gewohnheit als „neuen Mittelstand“ bezeichnet. Es handelt sich dabei um die Angestellten in Handel und Industrie, die durch die Entwicklung des Großbetriebes und durch die gesellschaftliche Form des Unternehmens eine außerordentliche Vermehrung erfahren haben und in hierarchischer Abstufung zu den eigentlichen Leitern der Produktion werden. Es ist eine Schicht, deren Anwachsen selbst das des Proletariats übertrifft. Der Fortschritt zu höherer organischer Zusammensetzung bedeutet ein» relative, in manchen Fällen und manchen Industriesphären sogar eine absolute Verminderung der Arbeiter, Dies muß aber durchaus nicht der Fall sein mit dem technischen Personal, das vielmehr mit dem Umfang des Betriebes, wenn auch nicht im selben Verhältnis, zuniramt. Denn Fortschritt der organischen Zusammensetzung bedeutet Fortschritt des automatischen Betriebes, Veränderung und Komplizierung der Maschinerie. Die Einführung neuer Maschinerie macht menschliche Arbeitskraft überflüssig, sie macht aber durchaus nicht die Aufsicht des Technikers überflüssig. Die Ausdehnung des maschinellen, großkapitalistischen Betriebes ist daher ein Lebensinteresse der technischen Angestellten aller Kategorien und macht die Angestellten der Industrie zu den leidenschaftlichsten Anhängern großkapitalistischer Entwicklung.

Auch die Entwicklung des Aktienwesens wirkt zunächst in ähnlicher Weise. Sie trennt die Leitung vom Besitz und macht die Leitung zur besonderen Funktion höher bezahlter Lohnarbeiter und Angestellter. Zugleich werden die höheren Posten zu einflußreichen und reich dotierten Stellungen, die, der Möglichkeit nach, allen Angestellten offenzustehen scheinen. Das Interesse an der Karriere, der Drang nach dem Avancement, das sich in jeder Hierarchie ausbildet, erwacht so in jedem einzelnen Angestellten und besiegt ihre Solidaritätsgefühle. Jeder hofft vor dem anderen hinaufzukommen und sich aus der halbproletarischen Lage emporzuarbeiten zu der Höhe kapitalistischen Einkommens. Je rascher die Entwicklung der Aktiengesellschaften, je größer ihr Umfang, desto größer auch die Zahl der Stellen, vor allem auch der einflußreichen und gut bezahlten. Die Angestellten sehen zunächst nur diese Harmonie der Interessen und fühlen sich, da ihnen jede Stellung nur als Übergang zu einer höheren erscheint, nicht so sehr interessiert an dem Kampf um ihren Arbeitsvertrag, als an dem Kampf des Kapitals um die Erweiterung seiner Einflußsphäre.

Es ist eine Schicht, die noch ihrer Ideologie und ihrem Herkommen nach zur Bourgeoisie gehört, deren tüchtigste oder rücksichtsloseste Vertreter noch in die kapitalistischen Schichten aufsteigen, die auch durch ihr Einkommen zum Teil noch über dem Proletariat steht. Die Angehörigen dieser Schicht kommen mit den leitenden Kapitalisten am meisten in Berührung, werden von ihnen am schärfsten überwacht und am peinlichsten ausgesucht. Gegen ihre Organisation ist der Kampf am heftigsten und unerbittlichsten. Wird schließlich die Entwicklung gerade diese für die Produktion unentbehrlichen Schichten auf die Seite des Proletariats treiben, besonders wenn die Machtverhältnisse bereits ins Wanken gekommen, die Macht des Kapitalismus, wenn auch noch nicht gebrochen, so doch nicht mehr unüberwindbar erscheint, so sind diese Schichten heute noch keine besonders aktive Truppe im selbständigen Kampfe.

Die weitere Entwicklung muß allerdings allmählich diese passive Haltung ändern. Die Verringerung der Möglichkeit, zu selbständiger Stellung zu gelangen, die eine Folge der Konzentrationsentwicklung ist, zwingt die Kleingewerbetreibenden und Kleinkapitalisten immer mehr, ihre Söhne in die Laufbahn der Angestellten eintreten zu lassen. Zugleich wächst mit der Zahl der Angestellten die Bedeutung des durch deren Lohn gebildeten Ausgabepostens und weckt die Tendenz, das Lohnniveau zu drücken. Das Angebot an diesen Arbeitskräften nimmt rasch zu. Anderseits bildet sich im Großbetrieb auch für diese höchstqualifizierten Arbeitskräfte eine immer stärkere Arbeitsteilung und Spezialisierung aus. Ein Teil dieser Arbeit, der einen automatischen Charakter erhält, wird von minder qualifizierten Arbeitskräften besorgt; eine moderne Großbank, eine moderne Elektrizitätsgesellschaft, ein Warenhaus beschäftigen eine Unzahl Angestellter, die nicht viel mehr sind als ausgelernte Teilarbeiter, deren höhere Ausbildung, wenn sie sie besitzen, für den Unternehmer mehr oder weniger gleichgültig ist; sie sind fortwährend in Gefahr, durch ungelernte oder halbgelemte Arbeiter ersetzt zu werden; auch die Frauenarbeit macht ihnen starke Konkurrenz; sie müssen in dem Preis ihrer Arbeitskraft diese Konkurrenz auskämpfen und werden in ihrer Lebenshaltung gedrückt, was ihnen um so schmerzlicher zum Bewußtsein kommt, als sie an bürgerliche Ansprüche gewöhnt sind. Dazu kommt, daß mit der Ausdehnung der Riesenbetriebe nur die Zahl dieser schlecht bezahlten Stellungen wächst, aber durchaus nicht in gleichem Maß die Zahl der höheren Stellungen. Hat die Vermehrung der Großbetriebe und ihrer modernen Formen die Nachfrage nach Angestellten aller Art rasch erhöht, so bewirkt die Vergrößerung der schon bestehenden keineswegs eine Zunahme im gleichen Verhältnis. Dazu kommt, daß mit der Konsolidierung der Aktiengesellschaften die bestbezahlten Stellungen immer mehr zum Monopol der großkapitalistischen Schicht gemacht, die Aussicht der Karriere vollends verringert wird. [5]

Die Zusammenfassung der Industrien und der Banken zu den großen Monopolen verschlechtert die Lage der Angestellten weiter. Sie stehen jetzt einmal einer übermächtigen Kapitalistengruppe gegenüber; ihre Freizügigkeit, damit aber die Aussicht, durch Ausnützung der Unternehmerkonkurrenz um die besten Angestellten ihre Stellung zu verbessern, wird auch für die Befähigteren und Talentierteren immer prekärer. Die Anzahl der Angestellten kann durch die Zusammenfassung auch absolut vermindert werden. Das betrifft vor allem die Zahl der bestbezahlten Stellungen, da die Leitung vereinfacht werden kann. Die Entstehung der Kombination, vor allem aber des Trusts, vermindert die Zahl der höchsten technischen Stellungen. Die Zahl der Zirkulationsagenten, der Reisenden, der Reklamemacher usw., wird absolut verringert. [6]

Es dauert aber längere Zeit, bis diese Wirkungen auf die politische Stellung dieser Schicht sich geltend machen. Hervorgegangen und sich rekrutierend aus bürgerlichen Kreisen, leben sie zunächst ganz in ihrer alten Ideologie. Es sind die Kreise, in denen die Angst vor dem Herabsinken ins Proletariat das Bestreben lebendig erhält, nur ja nicht als Proletarier zu gelten. Es sind zugleich die Kreise, wo der Haß gegen das Proletariat am intensivsten ist, die Verabscheuung der proletarischen Kampfmittel am größten. Der Handlungsgehilfe empfindet es als Beleidigung, als Arbeiter angesprochen zu werden, während der Geheimrat, bisweilen noch der Leiter eines Kartells mit Eifer diese Bezeichnung für sich reklamieren, wobei freilich der eine die geringe soziale Geltung fürchtet, der andere auf die ethische Bewertung der Arbeit das Gewicht legt. Aber immerhin hält diese Ideologie die Angestellten zunächst von proletarischen Anschauungen fern. Anderseits bedeutet aber die Entwicklung der Aktiengesellschaften und wieder insbesondere die der Kartelle und Trusts eine außerordentliche Beschleunigung der kapitalistischen Entwicklung. Die rapide Entwicklung der Großbanken, die Ausdehnung der Produktion durch das Mittel des Kapitalexports, die Eroberung neuer Märkte, das alles sind Mittel, immer neue Beschäftigungsfelder den Angestellten aller Art zu eröffnen. Noch abgeschnitten von dem proletarischen Kampf, sehen sie all ihre Aussichten in der Erweiterung des Beschäftigungsfeldes des Kapitals. Gebildeter als der Mittelstand der früher geschilderten Art, lassen sie sich leichter von der Ideologie des Imperialismus packen; und, interessiert an der Ausdehnung des Kapitals, werden sie die Gefangenen seiner Ideologie, die ihnen, denen der Sozialismus noch ideologisch fern und realiter zu gefährlich ist, einen Ausweg zu bieten scheint und lockende Aussichten auf Vorwärtskommen und Gehaltssteigerung eröffnet. Sozial schwach, ist diese Schicht der Angestellten mit ihren Verbindungen in den Kreisen des Kleinkapitals, mit der größeren Leichtigkeit der öffentlichen Betätigung von bedeutendem Einfluß auf die Bildung der öffentlichenMeinung. Sie sind die Abonnenten der spezifisch imperialistischen Organe, die Anhänger der Rassentheorie, die bei ihnen auch manchmal Konkurrenzerscheinung ist, die Leser der Kriegsromane, die Bewunderer der Kolonialhelden, die Agitatoren und das Stimmvieh des Finanzkapitals.

Aber diese Stellung ist nicht die definitive. Je mehr die weitere Ausbreitung des Kapitalismus auf Hindernisse stößt, die die Ausbreitung verlangsamen, je mehr die Kartellierung und Trustierung vollendet wird und damit die die Lage der Angestellten niederdrückenden Tendenzen die Oberhand gewinnen, desto mehr wächst der Gegensatz dieser Schichten, denen die wichtigsten leitenden Funktionen der Produktion ebenso gehören wie ihre überflüssigsten, zum Kapital, desto mehr wird der ihre Masse bildende, abhängige und stets abhängig bleibende, zu schlecht bezahlten, lang arbeitenden Teilarbeitern des Kapitals herabgedrückte Teil der Angestellten dazu getrieben, an der Seite des Proletariats den Kampf gegen die Ausbeutung aufzunehmen, ein Zeitpunkt, der um so früher eintreten wird, je größer die Macht und je größer daher die Siegesaussichten der proletarischen Bewegung sind.

Schließlich vereinigt das gemeinsame Interesse gegenüber dem Vormarsch der Arbeiterklasse immer mehr alle bürgerlichen Schichten. In dieser Abwehr aber hat das Großkapital schon längst die Führung übernommen.


Anmerkungen

1. Die Ausfuhr der Vereinigten Staaten betrug 1901: 33 Prozent der gesamten Weizenproduktion, 1902: 29 Prozent, 1903: 19,5 Prozent, 1904: 10,5 Prozent. J. M. Rubinow, Russia’s wheat trade, Washington 1908.

In den von Marie Schwab, a. a. O., S. 73, zitierten Bemerkungen des Department of Commerce and Labor in Washington heißt es:

„Die Abnahme der ausgeführten Mengen von Brotstoffen, Nahrungsmitteln und Baumwolle, welche in den jüngsten Jahren und besonders im letzten Jahre 1903/04 eingetreten ist, kann weder auf knappe Inlandsernten noch auf niedrige Preise im Ausland zurückgeführt werden. Die im letzten Jahre geernteten Mengen an Mais, Weizen und Baumwolle waren nicht unter dem Durchschnitt, in den meisten Fällen sogar außergewöhnlich hoch. Der Hauptgrund für den stetigen Rückgang des Anteils, den die Ackerbauprodukte an der Gesamtausfuhr haben, ist offenbar der steigende Bedarf in den Vereinigten Staaten. Die für den inneren Verbrauch in den Vereinigten Staaten zurückbehaltene Weizenmenge hat vor dem Jahre 1880 nie 275 Millionen Bushels erreicht. Im Jahre 1883 überstieg sie die 300-Millionen-Grenze und wuchs mit der Zunahme der Bevölkerung allmählich weiter. Sie betrug im Jahre 1889 über 400 Millionen Bushels, 1902 über 500 Millionen Bushels und in dem am 30. Juni 1904 zu Ende gegangenen Rechnungsjahr 517 Millionen Bushels. Das ist der größte bisher in irgendeinem Jahre dagewesene Gesamtbetrag.“

„Die Bevölkerung der Vereinigten Staaten ist in der Zeit von 1880 bis 1900 von 50 Millionen auf 76 Millionen gestiegen, das sind 52 Prozent, während die Weizenfläche der Republik nur eine Vermehrung von 34 Millionen Acres auf 42 Millionen Acres, das heißt um 23½ Prozent erfuhr. Die gesamte mit Getreide aller Art bestellte Anbaufläche vollends stieg nur von 136 Millionen auf 158 Millionen Acres, das heißt um 16½ Prozent.“ Ebenda, S. 72.

2. Für Preußen siehe Das Kapitalvermögen der selbständigen Landwirte in Preußen von Professor Dr. F. Kühnert in der Zeitschrift des königlich preußischen statistischen Landesamtes, 48. Jahrgang, 1908. Als Grundlage dient die auf den Materialien der Einkommensteuer- und Ergänzungssteuerveranlagung für das Jahr 1902 beruhende preußische Statistik der Verschuldung der Eigentümer von Grundstücken mit mindestens 60 Mk. Grundsteuerreinertrag, also im allgemeinen der wirklich selbständigen Landwirte. Unter dem „eigentlichen Kapitalvermögen“ ist hier nicht verstanden das Vermögen an Grundstücken, das land- und forstwirtschaftliche Betriebskapital, auch nicht das gewerbliche und bergbauliche Anlage- und Betriebskapital, sondern Kapitalforderungen jeder Art, wie Aktien, Sparkasseneinlagen, Kuxenbesitz usw. Es ist also das Kapitalvermögen ausschließlich des landwirtschaftlichen oder gewerblichen Anlage- oder Betriebskapitals gemeint. Es ergibt sich, daß die Eigentümer von Grundstücken mit mindestens 60 Mk. Grundsteuerreinertrag, deren Gesamtzahl 720.067 betrug, im ganzen 7.920.781.703 Mk. Kapitalvermögen besaßen, wovon 3.997.549.251 Mk. Oder 5 vom Hundert auf die 628.876 Eigentümer mit Haupterwerb aus der Land- oder Forstwirtschaft, also im allgemeinen die selbständigen Landwirte im Hauptberuf, und 3.923.232.452 Mk. oder 49,5 vom Hundert auf die 91.191 Eigentümer mit Nebenerwerb aus der Land- oder Forstwirtschaft, das sind im wesentlichen die selbständigen Landwirte im Nebenberuf, entfallen.

Von dem gesamten Bruttovermögen der 720 067 selbständigen Landwirte Preußens im Betrage von 39.955.313.135 Mk. entfielen 74,1 Hundertteile auf das Grund- und 19,8 auf das Kapitalvermögen, 5,9 auf das gewerbliche Anlage- und Betriebskapital und 0,2 auf die selbständigen Rechte und Gerechtigkeiten; insbesondere bei dem Gesamtvermögen der 628.876 hauptberuflichen Landwirte von 28.541.502.216 Mk. betrugen die entsprechenden Verhältnisziffem 84,9 beziehungsweise 14,0, 1,0 und 0,1 und bei dem der 91.191 nebenberuflichen von 11.413.811.919 Mk. 47,1 beziehungsweise 34,4, 18,3 und 0,3 vom Hundert.

3. Wie sehr dies den Großindustriellen zum Bewußtsein gekommen ist, zeigt die Stellungnahme des Freiherrn v. Reiswitz, des Generalsekretärs des Arbeitgeberverbandes Hamburg-Altona und Hauptverfechters des Prinzips der gemischten Arbeitgeberverbände. Er führt als Vorzüge der gemischten Verbände an: Einmal sie wirkten „außerordentlich erzieherisch“ auf die Arbeitgeber, da fast jederzeit eine der beteiligten Branchen vom Streik betroffen sei, der Verband also „sich sozusagen fortdauernd im Kriegszustand befinde“; anderseits aber – und das sei die Hauptsache – ermöglichten sie ein einheitliches Zusammengehen von Großindustrie, Kleingewerbe und Handwerk. Auf dieses Zusammengehen aller Gewerbegruppen legt Freiherr v. Reiswitz aus politischen Gründen besonderen Wert. Der Handwerker sei der beste Vorkämpfer im Kleinkrieg gegen die Sozialdemokratie, darum hätte die Großindustrie ein bedeutendes Interesse, ihn wirtschaftlich lebensfähig zu halten. Siehe Reiswitz, Gründet Arbeitgeberverbände, S. 22 ff.; zitiert bei Dr. Gerhard Keßler, Die deutschen Arbeitgeberverbände, in Schriften des Vereins für Sozialpolitik, 124. Bd., Leipzig 1907, S. 106 ff.

4. Siehe Keßler, a. a. O., S. 15.

5. So sagte nach dem Bericht des Berliner Tageblatts vom 14. Juni 1909 auf der Tagung des Deutschen Bankbeamtenvereins der Vorsitzende des geschäftsführenden Ausschusses Fürstenberg (Berlin):

„Die Konzentrationsbestrebungen im Bankgewerbe haben glücklicherweise einen Stillstand erfahren. Immerhin haben zur Zeit 90 Prozent aller Bankbeamten Deutschlands keine Aussicht, jemals selbständig zu werden.“

6. Die Bildung des Whisky-Trusts machte 300, die des Stahltrusts 200 Reisende überflüssig. Siehe J. W. Jenks, The Trust Problem, New York 1902, S. 24.


Zuletzt aktualisiert am 27. September 2016