Nikolai Bucharin

 

An die künftige Generation führender Parteifunktionäre

(1938)


Nachgedruckt in Sputnik, 1988, Nr. 5, S. 117
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Ich scheide aus dem Leben. Ich neige mein Haupt nicht vor dem proletarischen Fallbeil, das zwar unerbittlich, aber keusch sein muß. Ich spüre, wie hilflos ich angesichts jener teuflischen Maschinerie bin, die sich offenbar mittelalterlicher Methoden bedient und über kolossale Kräfte verfügt, Verleumdungen fabriziert und frech und sicher vorgeht.

Nichts von Dzierzynski ist geblieben, nach und nach sind die besten Traditionen der Tscheka in die Vergangenheit gerückt. Nichts ist geblieben von der Zeit, da die revolutionäre Idee all ihr Handeln bestimmte, ihre Strenge gegenüber den Feinden rechtfertigte, den Staat vor jeglicher Konterrevolution schützte. Von daher rührte das besondere Vertrauen, das besondere Ansehen, die Autorität und die Achtung, die sich die Organe der Tscheka erwarben. In heutiger Zeit verrichten die meisten sogenannten Organe des NKWD - dieser entarteten Organisation ideenleerer, demoralisierter, gut versorgter Beamter, die die frühere Autorität der Tscheka dem krankhaften Mißtrauen Stalins zuliebe, mehr wage ich nicht zu sagen, ausnutzen und auf Orden und Ruhm versessen sind - schändliche Dinge und begreifen nicht, daß sie sich gleichzeitig damit selbst vernichten - die Geschichte duldet keine Zeugen schmutzigen Tuns!

Ein jedes ZK-Mitglied, ein jedes Parteimitglied können diese „wundertätigen Organe“ zermalmen, zu einem Verräter, Terroristen, Diversanten und Spion machen. Und wenn Stalin Zweifel an sich selbst aufkämen, die Bestätigung würde nicht lange auf sich warten lassen.

Gewitterwolken hängen über der Partei. Nicht nur mein Kopf wird völlig unschuldig fallen, sondern noch Tausende anderer Köpfe. Man hatte eine Organisation schaffen müssen, eine „bucharinsche Organisation“, die es aber in Wahrheit weder jetzt gibt, da ich schon sieben Jahre lang keine Spur von Meinungsverschiedenheit mit der Partei habe, noch damals, in der Zeit der rechten Opposition gegeben hat. Von den geheimen Organisationen Rjutins und Uglanows war mir nichts bekannt. Ich habe meine Ansichten gemeinsam mit Rykow und Tomski offen dargelegt.

Seit meinem achtzehnten Lebensjahr gehöre ich der Partei an, und stets ist der Kampf für die Interessen der Arbeiterklasse, für den Sieg des Sozialismus das Ziel meines Lebens gewesen. In diesen Tagen nun druckt die Zeitung mit dem geheiligten Namen „Prawda“ die abscheuliche Lüge, daß ich, Nikolai Bucharin, angeblich die Errungenschaften der Oktoberrevolution zunichte machen und den Kapitalismus restaurieren wollte. Das ist eine bodenlose Unverschämtheit, die reinste Lüge, vergleichbar nur mit einer solchen Unverschämtheit, einer solchen Verantwortungslosigkeit gegenüber dem Volke, als würde man sagen: es hat sich herausgestellt, daß Nikolai Romanow sein games Leben dem Kampf gegen den Kapitalismus und die Monarchie, dem Kampf für die Verwirklichung des Sozialismus gewidmet hatte.

Wenn ich mich hinsichtlich der Methoden des Aufbaus des Sozialismus wiederholt geirrt habe, so sollen dafür künftige Generationen nicht strenger über mich urteilen, als dies Wladimir Iljitsch getan hat. Wir strebten erstmals, auf einem noch ungebahnten Weg dem gemeinsamen Ziel zu. Es war dies eine andere Zeit, und es herrschten andere Sitten. In der „Prawda“ wurde ein Diskussionsblatt gedruckt, alle diskutierten, suchten den richtigen Weg, lagen sich in den Haaren und versöhnten sich wieder, um weiter zusammen vorwärtszuschreiten.

Ich wende mich an Euch, die künftige Generation führender Parteifunktionäre, zu deren historischer Mission die Pflicht gehören wird, das ungeheuerliche Knäuel von Verbrechen zu entwirren, die in diesen schrecklichen Tagen immer größeres Ausmaß annehmen, wie eine Flamme auflodern und die Partei ersticken.

ICH WENDE MICH AN ALLE PARTEIMITGLIEDER.

In diesen vielleicht letzten Tagen meines Lebens bin ich überzeugt, daß mich die Geschichte früher oder später unweigerlich wieder reinwaschen wird.

Ich bin niemals ein Verräter gewesen. Für Lenins Leben hätte ich ohne Schwanken mein eigenes hergegeben. Ich habe Kirow geliebt, habe nichts gegen Stalin angezettelt.

Ich bitte die neue, junge und ehrliche Generation führender Parteifunktionäre, meinen Brief auf einem ZK-Plenum zu verlesen, mir Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und mich wieder in die Partei aufzunehmen.

Ihr sollte wissen, Genossen, daß sich auf dem Banner, das Ihr auf dem siegreichen Weg zum Kommunismus tragt, auch ein Tropfen meines Blutes befindet.

 


Zuletzt aktualisiert am 20.4.2008